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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und standen vor dem Hause; Vrenchen umschloß
ihn mit beiden Armen, schmiegte seinen heißen
zitternden Leib an ihn, drückte seine glühende
Wange, die von heißen Thränen feucht war, an
sein Gesicht und sagte schluchzend: "Wir können
nicht zusammen sein und doch kann ich nicht von
Dir lassen, nicht einen Augenblick mehr, nicht
eine Minute!" Sali umarmte und drückte das
Mädchen heftig an sich und bedeckte es mit Küs¬
sen. Seine verwirrten Gedanken rangen nach
einem Ausweg, aber er sah keinen. Wenn auch
das Elend und die Hoffnungslosigkeit seiner Her¬
kunft zu überwinden gewesen wären, so war seine
Jugend und unerfahrene Leidenschaft nicht be¬
schaffen, eine lange Zeit der Prüfung und Ent¬
sagung vorzunehmen und zu übersehen, und dann
wäre erst noch Vrenchens Vater da gewesen,
welchen er zeitlebens elend gemacht. Das Ge¬
fühl, in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz
ehrlichen und gewissenfreien Ehe glücklich sein
zu können, war in ihm eben so lebendig wie in
Vrenchen und in beiden verlassenen Wesen war
es die letzte Flamme der Ehre, die in früheren
Zeiten in ihren Häusern geherrscht hatte und

und ſtanden vor dem Hauſe; Vrenchen umſchloß
ihn mit beiden Armen, ſchmiegte ſeinen heißen
zitternden Leib an ihn, drückte ſeine glühende
Wange, die von heißen Thränen feucht war, an
ſein Geſicht und ſagte ſchluchzend: »Wir können
nicht zuſammen ſein und doch kann ich nicht von
Dir laſſen, nicht einen Augenblick mehr, nicht
eine Minute!« Sali umarmte und drückte das
Mädchen heftig an ſich und bedeckte es mit Küſ¬
ſen. Seine verwirrten Gedanken rangen nach
einem Ausweg, aber er ſah keinen. Wenn auch
das Elend und die Hoffnungsloſigkeit ſeiner Her¬
kunft zu überwinden geweſen wären, ſo war ſeine
Jugend und unerfahrene Leidenſchaft nicht be¬
ſchaffen, eine lange Zeit der Prüfung und Ent¬
ſagung vorzunehmen und zu überſehen, und dann
wäre erſt noch Vrenchens Vater da geweſen,
welchen er zeitlebens elend gemacht. Das Ge¬
fühl, in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz
ehrlichen und gewiſſenfreien Ehe glücklich ſein
zu können, war in ihm eben ſo lebendig wie in
Vrenchen und in beiden verlaſſenen Weſen war
es die letzte Flamme der Ehre, die in früheren
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[341/0353] und ſtanden vor dem Hauſe; Vrenchen umſchloß ihn mit beiden Armen, ſchmiegte ſeinen heißen zitternden Leib an ihn, drückte ſeine glühende Wange, die von heißen Thränen feucht war, an ſein Geſicht und ſagte ſchluchzend: »Wir können nicht zuſammen ſein und doch kann ich nicht von Dir laſſen, nicht einen Augenblick mehr, nicht eine Minute!« Sali umarmte und drückte das Mädchen heftig an ſich und bedeckte es mit Küſ¬ ſen. Seine verwirrten Gedanken rangen nach einem Ausweg, aber er ſah keinen. Wenn auch das Elend und die Hoffnungsloſigkeit ſeiner Her¬ kunft zu überwinden geweſen wären, ſo war ſeine Jugend und unerfahrene Leidenſchaft nicht be¬ ſchaffen, eine lange Zeit der Prüfung und Ent¬ ſagung vorzunehmen und zu überſehen, und dann wäre erſt noch Vrenchens Vater da geweſen, welchen er zeitlebens elend gemacht. Das Ge¬ fühl, in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewiſſenfreien Ehe glücklich ſein zu können, war in ihm eben ſo lebendig wie in Vrenchen und in beiden verlaſſenen Weſen war es die letzte Flamme der Ehre, die in früheren Zeiten in ihren Häuſern geherrſcht hatte und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/353>, abgerufen am 22.11.2024.