Zeit zu Zeit unwirsch brummte, daß die friedlichen Leute sich fürchteten und in scheuer Entfernung dem wilden Wesen zuschauten. Estherchen lachte und freute sich unbändig über den Bären, wie er so zierlich umherwatschelte mit seinem Stecken, über das Kameel mit seinem selbstvergnügten Gesicht, und über die Affen. Die Mutter da¬ gegen mußte fortwährend weinen; denn der böse Bär erbarmte sie, und sie mußte wiederum ihres verschollenen Sohnes gedenken.
Als endlich auch dieser Aufzug wieder ver¬ schwunden und es wieder still geworden, indem die aufgeregten Nachbaren sich mit seinem Gefolge ebenfalls aus dem Staube gemacht, um da oder dort zu einem Abendschöppchen unterzukommen, sagte Estherchen: "Mir ist es nun zu Muthe, als ob der Pankraz ganz gewiß heute noch kommen würde, da schon so viele unerwartete Dinge ge¬ schehen und solche Kameele, Affen und Bären dagewesen sind!" Die Mutter ward böse darüber, daß sie den armen Pankraz mit diesen Bestien sozusagen zusammenzählte und auslachte, und hieß sie schweigen, sich nicht inne werdend, daß sie ja selbst das gleiche gethan in ihren Gedanken.
Zeit zu Zeit unwirſch brummte, daß die friedlichen Leute ſich fürchteten und in ſcheuer Entfernung dem wilden Weſen zuſchauten. Eſtherchen lachte und freute ſich unbändig über den Bären, wie er ſo zierlich umherwatſchelte mit ſeinem Stecken, über das Kameel mit ſeinem ſelbſtvergnügten Geſicht, und über die Affen. Die Mutter da¬ gegen mußte fortwährend weinen; denn der böſe Bär erbarmte ſie, und ſie mußte wiederum ihres verſchollenen Sohnes gedenken.
Als endlich auch dieſer Aufzug wieder ver¬ ſchwunden und es wieder ſtill geworden, indem die aufgeregten Nachbaren ſich mit ſeinem Gefolge ebenfalls aus dem Staube gemacht, um da oder dort zu einem Abendſchöppchen unterzukommen, ſagte Eſtherchen: »Mir iſt es nun zu Muthe, als ob der Pankraz ganz gewiß heute noch kommen würde, da ſchon ſo viele unerwartete Dinge ge¬ ſchehen und ſolche Kameele, Affen und Bären dageweſen ſind!« Die Mutter ward böſe darüber, daß ſie den armen Pankraz mit dieſen Beſtien ſozuſagen zuſammenzählte und auslachte, und hieß ſie ſchweigen, ſich nicht inne werdend, daß ſie ja ſelbſt das gleiche gethan in ihren Gedanken.
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Zeit zu Zeit unwirſch brummte, daß die friedlichen
Leute ſich fürchteten und in ſcheuer Entfernung
dem wilden Weſen zuſchauten. Eſtherchen lachte
und freute ſich unbändig über den Bären, wie
er ſo zierlich umherwatſchelte mit ſeinem Stecken,
über das Kameel mit ſeinem ſelbſtvergnügten
Geſicht, und über die Affen. Die Mutter da¬
gegen mußte fortwährend weinen; denn der böſe
Bär erbarmte ſie, und ſie mußte wiederum ihres
verſchollenen Sohnes gedenken.
Als endlich auch dieſer Aufzug wieder ver¬
ſchwunden und es wieder ſtill geworden, indem
die aufgeregten Nachbaren ſich mit ſeinem Gefolge
ebenfalls aus dem Staube gemacht, um da oder
dort zu einem Abendſchöppchen unterzukommen,
ſagte Eſtherchen: »Mir iſt es nun zu Muthe, als
ob der Pankraz ganz gewiß heute noch kommen
würde, da ſchon ſo viele unerwartete Dinge ge¬
ſchehen und ſolche Kameele, Affen und Bären
dageweſen ſind!« Die Mutter ward böſe darüber,
daß ſie den armen Pankraz mit dieſen Beſtien
ſozuſagen zuſammenzählte und auslachte, und hieß
ſie ſchweigen, ſich nicht inne werdend, daß ſie
ja ſelbſt das gleiche gethan in ihren Gedanken.
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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