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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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daß auch sein Haus und der letzte Acker, seit
geraumer Zeit verpfändet, nun gerichtlich ver¬
kauft wurden. Denn der Bauer, welcher die
zwei Äcker des Manz gekauft, benutzte die gänz¬
liche Verkommenheit Martis und seine Krankheit
und führte den alten Streit wegen des strittigen
Steinfleckes kurz und entschlossen zu Ende und
der verlorene Prozeß trieb Martis Faß vollends
den Boden aus, indessen er in seinem Blödsinne
nichts mehr von diesen Dingen wußte. Die
Versteigerung fand statt; Marti wurde von der
Gemeinde in einer Stiftung für dergleichen arme
Tröpfe auf öffentliche Kosten untergebracht; diese
Anstalt befand sich in der Hauptstadt des Länd¬
chens, der gesunde und eßbegierige Blödsinnige
wurde noch gut gefüttert, dann auf ein mit
Ochsen bespanntes Wägelchen geladen, das ein
ärmlicher Bauersmann nach der Stadt führte,
um zugleich einen oder zwei Säcke Kartoffeln
zu verkaufen, und Vrenchen setzte sich zu dem
Vater auf das Fuhrwerk, um ihn auf diesem
letzten Gange zu dem lebendigen Begräbniß zu
begleiten. Es war eine traurige und bittere
Fahrt, aber Vrenchen wachte sorgfältig über sei¬

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daß auch ſein Haus und der letzte Acker, ſeit
geraumer Zeit verpfändet, nun gerichtlich ver¬
kauft wurden. Denn der Bauer, welcher die
zwei Äcker des Manz gekauft, benutzte die gänz¬
liche Verkommenheit Martis und ſeine Krankheit
und führte den alten Streit wegen des ſtrittigen
Steinfleckes kurz und entſchloſſen zu Ende und
der verlorene Prozeß trieb Martis Faß vollends
den Boden aus, indeſſen er in ſeinem Blödſinne
nichts mehr von dieſen Dingen wußte. Die
Verſteigerung fand ſtatt; Marti wurde von der
Gemeinde in einer Stiftung für dergleichen arme
Tröpfe auf öffentliche Koſten untergebracht; dieſe
Anſtalt befand ſich in der Hauptſtadt des Länd¬
chens, der geſunde und eßbegierige Blödſinnige
wurde noch gut gefüttert, dann auf ein mit
Ochſen beſpanntes Wägelchen geladen, das ein
ärmlicher Bauersmann nach der Stadt führte,
um zugleich einen oder zwei Säcke Kartoffeln
zu verkaufen, und Vrenchen ſetzte ſich zu dem
Vater auf das Fuhrwerk, um ihn auf dieſem
letzten Gange zu dem lebendigen Begräbniß zu
begleiten. Es war eine traurige und bittere
Fahrt, aber Vrenchen wachte ſorgfältig über ſei¬

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[291/0303] daß auch ſein Haus und der letzte Acker, ſeit geraumer Zeit verpfändet, nun gerichtlich ver¬ kauft wurden. Denn der Bauer, welcher die zwei Äcker des Manz gekauft, benutzte die gänz¬ liche Verkommenheit Martis und ſeine Krankheit und führte den alten Streit wegen des ſtrittigen Steinfleckes kurz und entſchloſſen zu Ende und der verlorene Prozeß trieb Martis Faß vollends den Boden aus, indeſſen er in ſeinem Blödſinne nichts mehr von dieſen Dingen wußte. Die Verſteigerung fand ſtatt; Marti wurde von der Gemeinde in einer Stiftung für dergleichen arme Tröpfe auf öffentliche Koſten untergebracht; dieſe Anſtalt befand ſich in der Hauptſtadt des Länd¬ chens, der geſunde und eßbegierige Blödſinnige wurde noch gut gefüttert, dann auf ein mit Ochſen beſpanntes Wägelchen geladen, das ein ärmlicher Bauersmann nach der Stadt führte, um zugleich einen oder zwei Säcke Kartoffeln zu verkaufen, und Vrenchen ſetzte ſich zu dem Vater auf das Fuhrwerk, um ihn auf dieſem letzten Gange zu dem lebendigen Begräbniß zu begleiten. Es war eine traurige und bittere Fahrt, aber Vrenchen wachte ſorgfältig über ſei¬ 19*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/303>, abgerufen am 22.11.2024.