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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und sage nichts, wie es zugegangen, ich werde
auch schweigen, man soll nichts aus mir heraus¬
bringen! sagte es und sein Gesicht, das es dem
armen rathlosen Burschen zuwandte, überfloß
von schmerzlichen Thränen. "Komm, küß mich
noch ein Mal! Nein, geh, mach Dich fort!
Es ist aus, es ist ewig aus, wir können nicht
zusammenkommen!" Es stieß ihn fort und er
lief willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete ei¬
nem Knäbchen, das ihn nicht kannte; diesem
trug er auf, die nächsten Leute zu holen und
beschrieb ihm genau, wo die Hülfe nöthig sei.
Dann machte er sich verzweifelt fort und irrte
die ganze Nacht im Gehölze herum. Am Mor¬
gen schlich er in die Felder, um zu erspähen,
wie es gegangen sei, und hörte von frühen Leu¬
ten, welche mit einander sprachen, daß Marti
noch lebe, aber nichts von sich wisse, und wie
das eine seltsame Sache sei, da kein Mensch
wisse, was ihm zugestoßen. Erst jetzt ging er
in die Stadt zurück und verbarg sich in dem
dunkeln Elend des Hauses.


und ſage nichts, wie es zugegangen, ich werde
auch ſchweigen, man ſoll nichts aus mir heraus¬
bringen! ſagte es und ſein Geſicht, das es dem
armen rathloſen Burſchen zuwandte, überfloß
von ſchmerzlichen Thränen. »Komm, küß mich
noch ein Mal! Nein, geh, mach Dich fort!
Es iſt aus, es iſt ewig aus, wir können nicht
zuſammenkommen!« Es ſtieß ihn fort und er
lief willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete ei¬
nem Knäbchen, das ihn nicht kannte; dieſem
trug er auf, die nächſten Leute zu holen und
beſchrieb ihm genau, wo die Hülfe nöthig ſei.
Dann machte er ſich verzweifelt fort und irrte
die ganze Nacht im Gehölze herum. Am Mor¬
gen ſchlich er in die Felder, um zu erſpähen,
wie es gegangen ſei, und hörte von frühen Leu¬
ten, welche mit einander ſprachen, daß Marti
noch lebe, aber nichts von ſich wiſſe, und wie
das eine ſeltſame Sache ſei, da kein Menſch
wiſſe, was ihm zugeſtoßen. Erſt jetzt ging er
in die Stadt zurück und verbarg ſich in dem
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[288/0300] und ſage nichts, wie es zugegangen, ich werde auch ſchweigen, man ſoll nichts aus mir heraus¬ bringen! ſagte es und ſein Geſicht, das es dem armen rathloſen Burſchen zuwandte, überfloß von ſchmerzlichen Thränen. »Komm, küß mich noch ein Mal! Nein, geh, mach Dich fort! Es iſt aus, es iſt ewig aus, wir können nicht zuſammenkommen!« Es ſtieß ihn fort und er lief willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete ei¬ nem Knäbchen, das ihn nicht kannte; dieſem trug er auf, die nächſten Leute zu holen und beſchrieb ihm genau, wo die Hülfe nöthig ſei. Dann machte er ſich verzweifelt fort und irrte die ganze Nacht im Gehölze herum. Am Mor¬ gen ſchlich er in die Felder, um zu erſpähen, wie es gegangen ſei, und hörte von frühen Leu¬ ten, welche mit einander ſprachen, daß Marti noch lebe, aber nichts von ſich wiſſe, und wie das eine ſeltſame Sache ſei, da kein Menſch wiſſe, was ihm zugeſtoßen. Erſt jetzt ging er in die Stadt zurück und verbarg ſich in dem dunkeln Elend des Hauſes.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/300>, abgerufen am 22.11.2024.