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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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schickten Liebkosungen, welche wie eine Strafe
aussehen sollten, das schöne Mädchen zu bedrän¬
gen. Sie führte auch, sich wehrend, mit vieler
Langmuth den albernen Wortwechsel fort, der
trotz seiner Leerheit beide witzig und süß genug
dünkte, bis Sali erbost und kühn genug war,
Vrenchens Hände zu bezwingen und es in die
Mohnblumen zu drücken. Da lag es nun und
zwinkerte in der Sonne mit den Augen, seine
Wangen glühten wie Purpur und sein Mund
war halb geöffnet und ließ zwei Reihen weiße
Zähnchen durchschimmern. Fein und schön flos¬
sen die dunklen Augenbraunen in einander und
die junge Brust hob und senkte sich muthwillig
unter sämmtlichen vier Händen, welche sich kun¬
terbunt darauf streichelten und bekriegten. Sali
wußte sich nicht zu lassen vor Freuden, das
schlanke schöne Geschöpf vor sich zu sehen, es
sein eigen zu wissen, und es dünkte ihm ein
Königreich. "Alle Deine weißen Zähne hast Du
noch! lachte er, weißt Du noch, wie oft wir
sie einst gezählt haben? Kannst Du jetzt zäh¬
len?" "Das sind ja nicht die gleichen, Du
Löhli! sagte Vrenchen, jene sind längst ausge¬

ſchickten Liebkoſungen, welche wie eine Strafe
ausſehen ſollten, das ſchöne Mädchen zu bedrän¬
gen. Sie führte auch, ſich wehrend, mit vieler
Langmuth den albernen Wortwechſel fort, der
trotz ſeiner Leerheit beide witzig und ſüß genug
dünkte, bis Sali erboſt und kühn genug war,
Vrenchens Hände zu bezwingen und es in die
Mohnblumen zu drücken. Da lag es nun und
zwinkerte in der Sonne mit den Augen, ſeine
Wangen glühten wie Purpur und ſein Mund
war halb geöffnet und ließ zwei Reihen weiße
Zähnchen durchſchimmern. Fein und ſchön floſ¬
ſen die dunklen Augenbraunen in einander und
die junge Bruſt hob und ſenkte ſich muthwillig
unter ſämmtlichen vier Händen, welche ſich kun¬
terbunt darauf ſtreichelten und bekriegten. Sali
wußte ſich nicht zu laſſen vor Freuden, das
ſchlanke ſchöne Geſchöpf vor ſich zu ſehen, es
ſein eigen zu wiſſen, und es dünkte ihm ein
Königreich. »Alle Deine weißen Zähne haſt Du
noch! lachte er, weißt Du noch, wie oft wir
ſie einſt gezählt haben? Kannſt Du jetzt zäh¬
len?« »Das ſind ja nicht die gleichen, Du
Löhli! ſagte Vrenchen, jene ſind längſt ausge¬

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[281/0293] ſchickten Liebkoſungen, welche wie eine Strafe ausſehen ſollten, das ſchöne Mädchen zu bedrän¬ gen. Sie führte auch, ſich wehrend, mit vieler Langmuth den albernen Wortwechſel fort, der trotz ſeiner Leerheit beide witzig und ſüß genug dünkte, bis Sali erboſt und kühn genug war, Vrenchens Hände zu bezwingen und es in die Mohnblumen zu drücken. Da lag es nun und zwinkerte in der Sonne mit den Augen, ſeine Wangen glühten wie Purpur und ſein Mund war halb geöffnet und ließ zwei Reihen weiße Zähnchen durchſchimmern. Fein und ſchön floſ¬ ſen die dunklen Augenbraunen in einander und die junge Bruſt hob und ſenkte ſich muthwillig unter ſämmtlichen vier Händen, welche ſich kun¬ terbunt darauf ſtreichelten und bekriegten. Sali wußte ſich nicht zu laſſen vor Freuden, das ſchlanke ſchöne Geſchöpf vor ſich zu ſehen, es ſein eigen zu wiſſen, und es dünkte ihm ein Königreich. »Alle Deine weißen Zähne haſt Du noch! lachte er, weißt Du noch, wie oft wir ſie einſt gezählt haben? Kannſt Du jetzt zäh¬ len?« »Das ſind ja nicht die gleichen, Du Löhli! ſagte Vrenchen, jene ſind längſt ausge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/293>, abgerufen am 27.11.2024.