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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber;
und doch war es ihm, als ob er es eigentlich
von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn
jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte.
Denn nichts gleicht dem Reichthum und der
Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Men¬
schen herantritt in einer so klaren und deutlichen
Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl verse¬
hen mit einem eigenen Namen, der nicht tönt
wie andere Namen. Dieses ist eine feine Sache
und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offen¬
kunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem
Aufbau der Familie und dessen, was viele Fa¬
milien zusammen sind. Es ist die Frühlings¬
blüthe, aus welcher die Frucht der guten Fa¬
milie erwächst; manche Gewächse müssen zwei
bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine
Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weis¬
heit der Natur oder der Götter es so einge¬
richtet, daß den Blühenden die letzte Blume
immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei
noch nie so schön gewesen. Und ob nun die
Natur allein oder die Götter dies also geord¬
net, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßi¬

unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber;
und doch war es ihm, als ob er es eigentlich
von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn
jetzt mit ſo wunderſamer Süßigkeit erfüllte.
Denn nichts gleicht dem Reichthum und der
Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Men¬
ſchen herantritt in einer ſo klaren und deutlichen
Geſtalt, vom Pfäfflein getauft und wohl verſe¬
hen mit einem eigenen Namen, der nicht tönt
wie andere Namen. Dieſes iſt eine feine Sache
und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offen¬
kunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem
Aufbau der Familie und deſſen, was viele Fa¬
milien zuſammen ſind. Es iſt die Frühlings¬
blüthe, aus welcher die Frucht der guten Fa¬
milie erwächſt; manche Gewächſe müſſen zwei
bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine
Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weis¬
heit der Natur oder der Götter es ſo einge¬
richtet, daß den Blühenden die letzte Blume
immer die feinſte dünkt und ſie meinen, es ſei
noch nie ſo ſchön geweſen. Und ob nun die
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[263/0275] unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit ſo wunderſamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichthum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Men¬ ſchen herantritt in einer ſo klaren und deutlichen Geſtalt, vom Pfäfflein getauft und wohl verſe¬ hen mit einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen. Dieſes iſt eine feine Sache und in ihr ruht das Geheimniß oder die Offen¬ kunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und deſſen, was viele Fa¬ milien zuſammen ſind. Es iſt die Frühlings¬ blüthe, aus welcher die Frucht der guten Fa¬ milie erwächſt; manche Gewächſe müſſen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht gerathen will, und alsdann hat die Weis¬ heit der Natur oder der Götter es ſo einge¬ richtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinſte dünkt und ſie meinen, es ſei noch nie ſo ſchön geweſen. Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies alſo geord¬ net, ſo iſt es wirklich ein gutes und zweckmäßi¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/275>, abgerufen am 26.11.2024.