lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube. Alsdann warf er den Löffel weg, lamentirte und schmollte, bis die gute Mutter die Schüssel zur Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das Labyrinth der Kanäle und Dämme ihrer Kinder strömen ließ.
So lebte die kleine Familie einen Tag wie den andern, und indem dies immer so blieb, während doch die Kinder sich auswuchsen, ohne daß sich eine günstige Gelegenheit zeigte, die Welt zu erfassen und irgend etwas zu werden, fühlten sich Alle immer unbehaglicher und küm¬ merlicher in ihrem Zusammensein. Pankraz, der Sohn, that und lernte fortwährend nichts, als eine sehr ausgebildete und künstliche Art zu schmollen, mit welcher er seine Mutter, seine Schwester und sich selbst quälte. Es ward dies eine ordentliche und interessante Beschäftigung für ihn, bei welcher er die müssigen Seelenkräfte fleißig übte im Erfinden von hundert kleinen häuslichen Trauerspielen, die er veranlaßte und in welchen er behende und meisterlich den steten Unrechtleider zu spielen wußte. Estherchen, die Schwester, wurde dadurch zu reichlichem Weinen
lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube. Alsdann warf er den Löffel weg, lamentirte und ſchmollte, bis die gute Mutter die Schüſſel zur Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das Labyrinth der Kanäle und Dämme ihrer Kinder ſtrömen ließ.
So lebte die kleine Familie einen Tag wie den andern, und indem dies immer ſo blieb, während doch die Kinder ſich auswuchſen, ohne daß ſich eine günſtige Gelegenheit zeigte, die Welt zu erfaſſen und irgend etwas zu werden, fühlten ſich Alle immer unbehaglicher und küm¬ merlicher in ihrem Zuſammenſein. Pankraz, der Sohn, that und lernte fortwährend nichts, als eine ſehr ausgebildete und künſtliche Art zu ſchmollen, mit welcher er ſeine Mutter, ſeine Schweſter und ſich ſelbſt quälte. Es ward dies eine ordentliche und intereſſante Beſchäftigung für ihn, bei welcher er die müſſigen Seelenkräfte fleißig übte im Erfinden von hundert kleinen häuslichen Trauerſpielen, die er veranlaßte und in welchen er behende und meiſterlich den ſteten Unrechtleider zu ſpielen wußte. Eſtherchen, die Schweſter, wurde dadurch zu reichlichem Weinen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0027"n="15"/>
lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube.<lb/>
Alsdann warf er den Löffel weg, lamentirte und<lb/>ſchmollte, bis die gute Mutter die Schüſſel zur<lb/>
Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das<lb/>
Labyrinth der Kanäle und Dämme ihrer Kinder<lb/>ſtrömen ließ.</p><lb/><p>So lebte die kleine Familie einen Tag wie<lb/>
den andern, und indem dies immer ſo blieb,<lb/>
während doch die Kinder ſich auswuchſen, ohne<lb/>
daß ſich eine günſtige Gelegenheit zeigte, die<lb/>
Welt zu erfaſſen und irgend etwas zu werden,<lb/>
fühlten ſich Alle immer unbehaglicher und küm¬<lb/>
merlicher in ihrem Zuſammenſein. Pankraz, der<lb/>
Sohn, that und lernte fortwährend nichts, als<lb/>
eine ſehr ausgebildete und künſtliche Art zu<lb/>ſchmollen, mit welcher er ſeine Mutter, ſeine<lb/>
Schweſter und ſich ſelbſt quälte. Es ward dies<lb/>
eine ordentliche und intereſſante Beſchäftigung<lb/>
für ihn, bei welcher er die müſſigen Seelenkräfte<lb/>
fleißig übte im Erfinden von hundert kleinen<lb/>
häuslichen Trauerſpielen, die er veranlaßte und<lb/>
in welchen er behende und meiſterlich den ſteten<lb/>
Unrechtleider zu ſpielen wußte. Eſtherchen, die<lb/>
Schweſter, wurde dadurch zu reichlichem Weinen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[15/0027]
lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube.
Alsdann warf er den Löffel weg, lamentirte und
ſchmollte, bis die gute Mutter die Schüſſel zur
Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das
Labyrinth der Kanäle und Dämme ihrer Kinder
ſtrömen ließ.
So lebte die kleine Familie einen Tag wie
den andern, und indem dies immer ſo blieb,
während doch die Kinder ſich auswuchſen, ohne
daß ſich eine günſtige Gelegenheit zeigte, die
Welt zu erfaſſen und irgend etwas zu werden,
fühlten ſich Alle immer unbehaglicher und küm¬
merlicher in ihrem Zuſammenſein. Pankraz, der
Sohn, that und lernte fortwährend nichts, als
eine ſehr ausgebildete und künſtliche Art zu
ſchmollen, mit welcher er ſeine Mutter, ſeine
Schweſter und ſich ſelbſt quälte. Es ward dies
eine ordentliche und intereſſante Beſchäftigung
für ihn, bei welcher er die müſſigen Seelenkräfte
fleißig übte im Erfinden von hundert kleinen
häuslichen Trauerſpielen, die er veranlaßte und
in welchen er behende und meiſterlich den ſteten
Unrechtleider zu ſpielen wußte. Eſtherchen, die
Schweſter, wurde dadurch zu reichlichem Weinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/27>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.