Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

"Schweig, Du Galgenhund!" schrie Marti,
da hier die Wellen des Baches stärker rausch¬
ten, "Du hast mich in's Unglück gebracht!"
Und da jetzt auch die Weiden am Bache gewal¬
tig zu rauschen anfingen im aufgehenden Wet¬
terwind, so mußte Manz noch lauter schreien:
"Wenn dem nur so wäre, so wollte ich mich
freuen, Du elender Tropf!" "O Du Hund!"
schrie Marti herüber und Manz hinüber: "O
Du Kalb, wie dumm thust Du!" Und jener
sprang wie ein Tiger den Bach entlang und
suchte herüber zu kommen. Der Grund, warum
er der Wüthendere war, lag in seiner Meinung,
daß Manz als Wirth wenigstens genug zu essen
und zu trinken hätte und gewissermaßen ein
kurzweiliges Leben führe, während es ungerechter
Weise ihm so langweilig wäre auf seinem zer¬
trümmerten Hofe. Manz schritt indessen auch
grimmig genug an der andern Seite hin; hinter
ihm sein Sohn, welcher, statt auf den bösen
Streit zu hören, neugierig und verwundert nach
Vrenchen hinüber sah, welche hinter ihrem Vater
ging, vor Scham in die Erde sehend, daß ihr
die braunen krausen Haare in's Gesicht fielen.

»Schweig, Du Galgenhund!« ſchrie Marti,
da hier die Wellen des Baches ſtärker rauſch¬
ten, »Du haſt mich in's Unglück gebracht!«
Und da jetzt auch die Weiden am Bache gewal¬
tig zu rauſchen anfingen im aufgehenden Wet¬
terwind, ſo mußte Manz noch lauter ſchreien:
»Wenn dem nur ſo wäre, ſo wollte ich mich
freuen, Du elender Tropf!« »O Du Hund!«
ſchrie Marti herüber und Manz hinüber: »O
Du Kalb, wie dumm thuſt Du!« Und jener
ſprang wie ein Tiger den Bach entlang und
ſuchte herüber zu kommen. Der Grund, warum
er der Wüthendere war, lag in ſeiner Meinung,
daß Manz als Wirth wenigſtens genug zu eſſen
und zu trinken hätte und gewiſſermaßen ein
kurzweiliges Leben führe, während es ungerechter
Weiſe ihm ſo langweilig wäre auf ſeinem zer¬
trümmerten Hofe. Manz ſchritt indeſſen auch
grimmig genug an der andern Seite hin; hinter
ihm ſein Sohn, welcher, ſtatt auf den böſen
Streit zu hören, neugierig und verwundert nach
Vrenchen hinüber ſah, welche hinter ihrem Vater
ging, vor Scham in die Erde ſehend, daß ihr
die braunen krauſen Haare in's Geſicht fielen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0268" n="256"/>
        <p>»Schweig, Du Galgenhund!« &#x017F;chrie Marti,<lb/>
da hier die Wellen des Baches &#x017F;tärker rau&#x017F;ch¬<lb/>
ten, »Du ha&#x017F;t mich in's Unglück gebracht!«<lb/>
Und da jetzt auch die Weiden am Bache gewal¬<lb/>
tig zu rau&#x017F;chen anfingen im aufgehenden Wet¬<lb/>
terwind, &#x017F;o mußte Manz noch lauter &#x017F;chreien:<lb/>
»Wenn dem nur &#x017F;o wäre, &#x017F;o wollte ich mich<lb/>
freuen, Du elender Tropf!« »O Du Hund!«<lb/>
&#x017F;chrie Marti herüber und Manz hinüber: »O<lb/>
Du Kalb, wie dumm thu&#x017F;t Du!« Und jener<lb/>
&#x017F;prang wie ein Tiger den Bach entlang und<lb/>
&#x017F;uchte herüber zu kommen. Der Grund, warum<lb/>
er der Wüthendere war, lag in &#x017F;einer Meinung,<lb/>
daß Manz als Wirth wenig&#x017F;tens genug zu e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und zu trinken hätte und gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen ein<lb/>
kurzweiliges Leben führe, während es ungerechter<lb/>
Wei&#x017F;e ihm &#x017F;o langweilig wäre auf &#x017F;einem zer¬<lb/>
trümmerten Hofe. Manz &#x017F;chritt inde&#x017F;&#x017F;en auch<lb/>
grimmig genug an der andern Seite hin; hinter<lb/>
ihm &#x017F;ein Sohn, welcher, &#x017F;tatt auf den bö&#x017F;en<lb/>
Streit zu hören, neugierig und verwundert nach<lb/>
Vrenchen hinüber &#x017F;ah, welche hinter ihrem Vater<lb/>
ging, vor Scham in die Erde &#x017F;ehend, daß ihr<lb/>
die braunen krau&#x017F;en Haare in's Ge&#x017F;icht fielen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0268] »Schweig, Du Galgenhund!« ſchrie Marti, da hier die Wellen des Baches ſtärker rauſch¬ ten, »Du haſt mich in's Unglück gebracht!« Und da jetzt auch die Weiden am Bache gewal¬ tig zu rauſchen anfingen im aufgehenden Wet¬ terwind, ſo mußte Manz noch lauter ſchreien: »Wenn dem nur ſo wäre, ſo wollte ich mich freuen, Du elender Tropf!« »O Du Hund!« ſchrie Marti herüber und Manz hinüber: »O Du Kalb, wie dumm thuſt Du!« Und jener ſprang wie ein Tiger den Bach entlang und ſuchte herüber zu kommen. Der Grund, warum er der Wüthendere war, lag in ſeiner Meinung, daß Manz als Wirth wenigſtens genug zu eſſen und zu trinken hätte und gewiſſermaßen ein kurzweiliges Leben führe, während es ungerechter Weiſe ihm ſo langweilig wäre auf ſeinem zer¬ trümmerten Hofe. Manz ſchritt indeſſen auch grimmig genug an der andern Seite hin; hinter ihm ſein Sohn, welcher, ſtatt auf den böſen Streit zu hören, neugierig und verwundert nach Vrenchen hinüber ſah, welche hinter ihrem Vater ging, vor Scham in die Erde ſehend, daß ihr die braunen krauſen Haare in's Geſicht fielen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/268
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/268>, abgerufen am 26.11.2024.