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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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benehmen, wollte es auch nicht wissen. Er füllte
langsam und ungeschickt die Schöppchen, stellte
sie mürrisch vor die Gäste und versuchte etwas
zu sagen, brachte aber nichts heraus. Desto
eifriger warf sich nun seine Frau in's Geschirr
und hielt die Leute wirklich einige Tage zusam¬
men, aber in einem ganz andern Sinne, als sie
meinte. Die ziemlich dicke Frau hatte sich eine
eigene Haustracht zusammengesetzt, in der sie
unwiderstehlich zu sein glaubte. Zu einem lei¬
nenen naturfarbenen Landrock trug sie einen alten
grünseidenen Spenser, eine baumwollene Schürze
und einen schlimmen weißen Halskragen. Von
ihrem nicht mehr dichten Haar hatte sie an den
Schläfen possierliche Schnecken gewickelt und
in das Zöpfchen hinten einen hohen Kamm ge¬
steckt. So schwänzelte und tänzelte sie mit an¬
gestrengter Anmuth herum, spitzte lächerlich das
Maul, daß es süß aussehen sollte, hüpfte elastisch
an die Tische hin und, das Glas oder den Teller
mit gesalzenem Käse hinsetzend, sagte sie lächelnd:
"So so? so soli! herrlich herrlich, ihr Herren!"
und solches dummes Zeug mehr; denn obwohl
sie sonst eine geschliffene Zunge hatte, so wußte

benehmen, wollte es auch nicht wiſſen. Er füllte
langſam und ungeſchickt die Schöppchen, ſtellte
ſie mürriſch vor die Gäſte und verſuchte etwas
zu ſagen, brachte aber nichts heraus. Deſto
eifriger warf ſich nun ſeine Frau in's Geſchirr
und hielt die Leute wirklich einige Tage zuſam¬
men, aber in einem ganz andern Sinne, als ſie
meinte. Die ziemlich dicke Frau hatte ſich eine
eigene Haustracht zuſammengeſetzt, in der ſie
unwiderſtehlich zu ſein glaubte. Zu einem lei¬
nenen naturfarbenen Landrock trug ſie einen alten
grünſeidenen Spenſer, eine baumwollene Schürze
und einen ſchlimmen weißen Halskragen. Von
ihrem nicht mehr dichten Haar hatte ſie an den
Schläfen poſſierliche Schnecken gewickelt und
in das Zöpfchen hinten einen hohen Kamm ge¬
ſteckt. So ſchwänzelte und tänzelte ſie mit an¬
geſtrengter Anmuth herum, ſpitzte lächerlich das
Maul, daß es ſüß ausſehen ſollte, hüpfte elaſtiſch
an die Tiſche hin und, das Glas oder den Teller
mit geſalzenem Käſe hinſetzend, ſagte ſie lächelnd:
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und ſolches dummes Zeug mehr; denn obwohl
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[248/0260] benehmen, wollte es auch nicht wiſſen. Er füllte langſam und ungeſchickt die Schöppchen, ſtellte ſie mürriſch vor die Gäſte und verſuchte etwas zu ſagen, brachte aber nichts heraus. Deſto eifriger warf ſich nun ſeine Frau in's Geſchirr und hielt die Leute wirklich einige Tage zuſam¬ men, aber in einem ganz andern Sinne, als ſie meinte. Die ziemlich dicke Frau hatte ſich eine eigene Haustracht zuſammengeſetzt, in der ſie unwiderſtehlich zu ſein glaubte. Zu einem lei¬ nenen naturfarbenen Landrock trug ſie einen alten grünſeidenen Spenſer, eine baumwollene Schürze und einen ſchlimmen weißen Halskragen. Von ihrem nicht mehr dichten Haar hatte ſie an den Schläfen poſſierliche Schnecken gewickelt und in das Zöpfchen hinten einen hohen Kamm ge¬ ſteckt. So ſchwänzelte und tänzelte ſie mit an¬ geſtrengter Anmuth herum, ſpitzte lächerlich das Maul, daß es ſüß ausſehen ſollte, hüpfte elaſtiſch an die Tiſche hin und, das Glas oder den Teller mit geſalzenem Käſe hinſetzend, ſagte ſie lächelnd: »So ſo? ſo ſoli! herrlich herrlich, ihr Herren!« und ſolches dummes Zeug mehr; denn obwohl ſie ſonſt eine geſchliffene Zunge hatte, ſo wußte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/260>, abgerufen am 10.05.2024.