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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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hören, wie so eben, Mutter! Ich habe Dir so
lange Reden gar nicht zugetraut!"

Sie lachte, erwiederte dann aber ernsthaft:
Was ich gesagt, ist eigentlich weniger politisch ge¬
meint, als gut hausmütterlich. Wenn Du nicht be¬
reits Frau und Kind hättest, so würde es mir
vielleicht nicht eingefallen sein, Dich zu überreden;
so aber, da ich ein wohl erhaltenes Haus von
meinem Geblüte in Aussicht sehe, so halte ich
es für ein gutes Erbtheil solchen Hauses, wenn
darin in allen Dingen das rechte Maß gehalten
wird. Wenn die Söhne eines Hauses bei Zei¬
ten sehen und lernen, wie die öffentlichen Dinge
auf rechte Weise zu ehren sind, so bewahrt sie
vielleicht grade dies vor unrechten und unbeson¬
nenen Dingen. Ferner, wenn sie das Eine ehren
und zuverlässig thun, so werden sie es auch mit
dem Andern so halten, und so siehst Du, habe
ich am Ende nur als fürsichtige häusliche Gro߬
mutter gehandelt, während man sagen wird, ich
sei die ärgste alte Kannegießerin!"

In der Kirche fand Fritz statt einer Zahl
von sechs oder sieben hundert Männern kaum
deren vier Dutzend, und diese waren beinahe

hören, wie ſo eben, Mutter! Ich habe Dir ſo
lange Reden gar nicht zugetraut!«

Sie lachte, erwiederte dann aber ernſthaft:
Was ich geſagt, iſt eigentlich weniger politiſch ge¬
meint, als gut hausmütterlich. Wenn Du nicht be¬
reits Frau und Kind hätteſt, ſo würde es mir
vielleicht nicht eingefallen ſein, Dich zu überreden;
ſo aber, da ich ein wohl erhaltenes Haus von
meinem Geblüte in Ausſicht ſehe, ſo halte ich
es für ein gutes Erbtheil ſolchen Hauſes, wenn
darin in allen Dingen das rechte Maß gehalten
wird. Wenn die Söhne eines Hauſes bei Zei¬
ten ſehen und lernen, wie die öffentlichen Dinge
auf rechte Weiſe zu ehren ſind, ſo bewahrt ſie
vielleicht grade dies vor unrechten und unbeſon¬
nenen Dingen. Ferner, wenn ſie das Eine ehren
und zuverläſſig thun, ſo werden ſie es auch mit
dem Andern ſo halten, und ſo ſiehſt Du, habe
ich am Ende nur als fürſichtige häusliche Gro߬
mutter gehandelt, während man ſagen wird, ich
ſei die ärgſte alte Kannegießerin!«

In der Kirche fand Fritz ſtatt einer Zahl
von ſechs oder ſieben hundert Männern kaum
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[194/0206] hören, wie ſo eben, Mutter! Ich habe Dir ſo lange Reden gar nicht zugetraut!« Sie lachte, erwiederte dann aber ernſthaft: Was ich geſagt, iſt eigentlich weniger politiſch ge¬ meint, als gut hausmütterlich. Wenn Du nicht be¬ reits Frau und Kind hätteſt, ſo würde es mir vielleicht nicht eingefallen ſein, Dich zu überreden; ſo aber, da ich ein wohl erhaltenes Haus von meinem Geblüte in Ausſicht ſehe, ſo halte ich es für ein gutes Erbtheil ſolchen Hauſes, wenn darin in allen Dingen das rechte Maß gehalten wird. Wenn die Söhne eines Hauſes bei Zei¬ ten ſehen und lernen, wie die öffentlichen Dinge auf rechte Weiſe zu ehren ſind, ſo bewahrt ſie vielleicht grade dies vor unrechten und unbeſon¬ nenen Dingen. Ferner, wenn ſie das Eine ehren und zuverläſſig thun, ſo werden ſie es auch mit dem Andern ſo halten, und ſo ſiehſt Du, habe ich am Ende nur als fürſichtige häusliche Gro߬ mutter gehandelt, während man ſagen wird, ich ſei die ärgſte alte Kannegießerin!« In der Kirche fand Fritz ſtatt einer Zahl von ſechs oder ſieben hundert Männern kaum deren vier Dutzend, und dieſe waren beinahe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/206>, abgerufen am 28.04.2024.