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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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kamen, nur die Kleider wechselte, neues Geld
zu sich steckte und nach dem Wirthshause eilte,
um da den mißlungenen Feldzug aus einander
zu setzen und sich nach den ermüdenden Nicht¬
thaten zu stärken, sondern daß er eine Stunde
lang schlief und dann schweigend an seine Ge¬
schäfte ging, da ward sie in ihrem Herzen froh
und dachte, dieser merke von selber, was die
Glocke geschlagen.

Indessen dauerte es kaum ein halbes Jahr,
als sich eine neue Gelegenheit zeigte, auszuzie¬
hen nach einer andern Seite hin, und die Seld¬
wyler auch wirklich wieder auszogen. Eine
benachbarte Regierung sollte gestürzt werden,
welche sich auf eine ganz kleine Mehrheit ei¬
nes andächtigen gutkatholischen Landvolkes stützte.
Da aber dies Landvolk seine andächtige Gesin¬
nung und politische Meinung eben so handlich,
munter und leidenschaftlich betrieb und bei den
Wahlvorgängen eben so geschlossen und prügel¬
fertig zusammenhielt, wie die aufgeklärten Geg¬
ner, so empfanden diese einen heftigen und unge¬
duldigen Verdruß, und es wurde beschlossen, jenen
vernagelten Dummköpfen durch einen muthigen

kamen, nur die Kleider wechſelte, neues Geld
zu ſich ſteckte und nach dem Wirthshauſe eilte,
um da den mißlungenen Feldzug aus einander
zu ſetzen und ſich nach den ermüdenden Nicht¬
thaten zu ſtärken, ſondern daß er eine Stunde
lang ſchlief und dann ſchweigend an ſeine Ge¬
ſchäfte ging, da ward ſie in ihrem Herzen froh
und dachte, dieſer merke von ſelber, was die
Glocke geſchlagen.

Indeſſen dauerte es kaum ein halbes Jahr,
als ſich eine neue Gelegenheit zeigte, auszuzie¬
hen nach einer andern Seite hin, und die Seld¬
wyler auch wirklich wieder auszogen. Eine
benachbarte Regierung ſollte geſtürzt werden,
welche ſich auf eine ganz kleine Mehrheit ei¬
nes andächtigen gutkatholiſchen Landvolkes ſtützte.
Da aber dies Landvolk ſeine andächtige Geſin¬
nung und politiſche Meinung eben ſo handlich,
munter und leidenſchaftlich betrieb und bei den
Wahlvorgängen eben ſo geſchloſſen und prügel¬
fertig zuſammenhielt, wie die aufgeklärten Geg¬
ner, ſo empfanden dieſe einen heftigen und unge¬
duldigen Verdruß, und es wurde beſchloſſen, jenen
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[164/0176] kamen, nur die Kleider wechſelte, neues Geld zu ſich ſteckte und nach dem Wirthshauſe eilte, um da den mißlungenen Feldzug aus einander zu ſetzen und ſich nach den ermüdenden Nicht¬ thaten zu ſtärken, ſondern daß er eine Stunde lang ſchlief und dann ſchweigend an ſeine Ge¬ ſchäfte ging, da ward ſie in ihrem Herzen froh und dachte, dieſer merke von ſelber, was die Glocke geſchlagen. Indeſſen dauerte es kaum ein halbes Jahr, als ſich eine neue Gelegenheit zeigte, auszuzie¬ hen nach einer andern Seite hin, und die Seld¬ wyler auch wirklich wieder auszogen. Eine benachbarte Regierung ſollte geſtürzt werden, welche ſich auf eine ganz kleine Mehrheit ei¬ nes andächtigen gutkatholiſchen Landvolkes ſtützte. Da aber dies Landvolk ſeine andächtige Geſin¬ nung und politiſche Meinung eben ſo handlich, munter und leidenſchaftlich betrieb und bei den Wahlvorgängen eben ſo geſchloſſen und prügel¬ fertig zuſammenhielt, wie die aufgeklärten Geg¬ ner, ſo empfanden dieſe einen heftigen und unge¬ duldigen Verdruß, und es wurde beſchloſſen, jenen vernagelten Dummköpfen durch einen muthigen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/176>, abgerufen am 28.11.2024.