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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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der ganzen alten Welt noch an der gemüthlichen
ostländischen Weise festhalten, das Wichtigste in
breiter halbträumender Ruhe an den Quellen
des Getränkes oder bei irgend einem Genusse
zu verhandeln und immer wieder zu verhandeln.
Und doch sollte das nicht so sein; denn ein gutes
Glas in fröhlicher Ruhe zu trinken, ist ein Zweck,
ein Lohn oder eine Frucht, und, wenn man das
in einem tiefern Sinne nimmt, das Ausüben
politischer Rechte blos ein Mittel dazu zu gelangen.
Indessen war für Fritz diese Gefahr nicht beträcht¬
lich, weil er schon zu sehr an Ordnung und
Arbeit gewöhnt war und es ihn grade zu Seld¬
wyla nicht reizte, den andern nachzufahren.
Größer war schon die Gefahr für ihn, ein
Schwätzer und Prahler zu werden, der immer
das Gleiche sagt und sich selbst gern reden hört;
denn in solcher Jugend verführt nichts so leicht
dazu, als das lebendige Empfinden von Grund¬
sätzen und Meinungen, welche man zur Schau
stellen darf ohne Rückhalt, da sie gemeinnützig
sind und das Wohl Aller betreffen.

Als er aber wirklich begann, Tag und Nacht
von Politik zu sprechen, ein und dieselbe Sache

der ganzen alten Welt noch an der gemüthlichen
oſtländiſchen Weiſe feſthalten, das Wichtigſte in
breiter halbträumender Ruhe an den Quellen
des Getränkes oder bei irgend einem Genuſſe
zu verhandeln und immer wieder zu verhandeln.
Und doch ſollte das nicht ſo ſein; denn ein gutes
Glas in fröhlicher Ruhe zu trinken, iſt ein Zweck,
ein Lohn oder eine Frucht, und, wenn man das
in einem tiefern Sinne nimmt, das Ausüben
politiſcher Rechte blos ein Mittel dazu zu gelangen.
Indeſſen war für Fritz dieſe Gefahr nicht beträcht¬
lich, weil er ſchon zu ſehr an Ordnung und
Arbeit gewöhnt war und es ihn grade zu Seld¬
wyla nicht reizte, den andern nachzufahren.
Größer war ſchon die Gefahr für ihn, ein
Schwätzer und Prahler zu werden, der immer
das Gleiche ſagt und ſich ſelbſt gern reden hört;
denn in ſolcher Jugend verführt nichts ſo leicht
dazu, als das lebendige Empfinden von Grund¬
ſätzen und Meinungen, welche man zur Schau
ſtellen darf ohne Rückhalt, da ſie gemeinnützig
ſind und das Wohl Aller betreffen.

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[158/0170] der ganzen alten Welt noch an der gemüthlichen oſtländiſchen Weiſe feſthalten, das Wichtigſte in breiter halbträumender Ruhe an den Quellen des Getränkes oder bei irgend einem Genuſſe zu verhandeln und immer wieder zu verhandeln. Und doch ſollte das nicht ſo ſein; denn ein gutes Glas in fröhlicher Ruhe zu trinken, iſt ein Zweck, ein Lohn oder eine Frucht, und, wenn man das in einem tiefern Sinne nimmt, das Ausüben politiſcher Rechte blos ein Mittel dazu zu gelangen. Indeſſen war für Fritz dieſe Gefahr nicht beträcht¬ lich, weil er ſchon zu ſehr an Ordnung und Arbeit gewöhnt war und es ihn grade zu Seld¬ wyla nicht reizte, den andern nachzufahren. Größer war ſchon die Gefahr für ihn, ein Schwätzer und Prahler zu werden, der immer das Gleiche ſagt und ſich ſelbſt gern reden hört; denn in ſolcher Jugend verführt nichts ſo leicht dazu, als das lebendige Empfinden von Grund¬ ſätzen und Meinungen, welche man zur Schau ſtellen darf ohne Rückhalt, da ſie gemeinnützig ſind und das Wohl Aller betreffen. Als er aber wirklich begann, Tag und Nacht von Politik zu ſprechen, ein und dieſelbe Sache

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/170>, abgerufen am 28.11.2024.