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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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freundlich in die Augen und sagte: "Lieber Fritz!
Sei mir jetzt nur noch zwei oder drei Jährchen
brav und gehorsam, und ich will Dir das schönste
und beste Frauchen verschaffen aus meinem Ort,
daß Du dir was darauf einbilden kannst!"

Fritz schlug erröthend die Augen nieder,
wurde ganz verlegen und erwiederte mürrisch:
"Wer sagt denn, daß ich eine Frau haben
wolle?" "Du sollst aber Eine haben!" ver¬
setzte sie, und, wie ich sage, eine von guter und
schöner Art; aber nur wenn Du sie verdienst,
denn ich werde mich vorsehen, eine rechtschaffene
Tochter hierher in's Elend zu bringen!" Damit
küßte sie ihren Sohn, wie sie seit undenklicher
Zeit nicht gethan, und ging in's Haus zurück.

Es ward ihm aber auf einmal ganz seltsam
zu Muthe und von Stund an waren seine Ge¬
danken auf eine solche gute und schöne Frau
gerichtet, und diese Gedanken schmeichelten ihm
so sehr und beschäftigten ihn so anhaltend, daß
er darüber keine Frauensperson in Seldwyla
mehr ansah. Die Zärtlichkeit, mit welcher die
Mutter ihm solche Ideen beigebracht, gab seinen
Wünschen eine innigere und edlere Richtung und

freundlich in die Augen und ſagte: »Lieber Fritz!
Sei mir jetzt nur noch zwei oder drei Jährchen
brav und gehorſam, und ich will Dir das ſchönſte
und beſte Frauchen verſchaffen aus meinem Ort,
daß Du dir was darauf einbilden kannſt!«

Fritz ſchlug erröthend die Augen nieder,
wurde ganz verlegen und erwiederte mürriſch:
»Wer ſagt denn, daß ich eine Frau haben
wolle?« »Du ſollſt aber Eine haben!« ver¬
ſetzte ſie, und, wie ich ſage, eine von guter und
ſchöner Art; aber nur wenn Du ſie verdienſt,
denn ich werde mich vorſehen, eine rechtſchaffene
Tochter hierher in's Elend zu bringen!« Damit
küßte ſie ihren Sohn, wie ſie ſeit undenklicher
Zeit nicht gethan, und ging in's Haus zurück.

Es ward ihm aber auf einmal ganz ſeltſam
zu Muthe und von Stund an waren ſeine Ge¬
danken auf eine ſolche gute und ſchöne Frau
gerichtet, und dieſe Gedanken ſchmeichelten ihm
ſo ſehr und beſchäftigten ihn ſo anhaltend, daß
er darüber keine Frauensperſon in Seldwyla
mehr anſah. Die Zärtlichkeit, mit welcher die
Mutter ihm ſolche Ideen beigebracht, gab ſeinen
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[153/0165] freundlich in die Augen und ſagte: »Lieber Fritz! Sei mir jetzt nur noch zwei oder drei Jährchen brav und gehorſam, und ich will Dir das ſchönſte und beſte Frauchen verſchaffen aus meinem Ort, daß Du dir was darauf einbilden kannſt!« Fritz ſchlug erröthend die Augen nieder, wurde ganz verlegen und erwiederte mürriſch: »Wer ſagt denn, daß ich eine Frau haben wolle?« »Du ſollſt aber Eine haben!« ver¬ ſetzte ſie, und, wie ich ſage, eine von guter und ſchöner Art; aber nur wenn Du ſie verdienſt, denn ich werde mich vorſehen, eine rechtſchaffene Tochter hierher in's Elend zu bringen!« Damit küßte ſie ihren Sohn, wie ſie ſeit undenklicher Zeit nicht gethan, und ging in's Haus zurück. Es ward ihm aber auf einmal ganz ſeltſam zu Muthe und von Stund an waren ſeine Ge¬ danken auf eine ſolche gute und ſchöne Frau gerichtet, und dieſe Gedanken ſchmeichelten ihm ſo ſehr und beſchäftigten ihn ſo anhaltend, daß er darüber keine Frauensperſon in Seldwyla mehr anſah. Die Zärtlichkeit, mit welcher die Mutter ihm ſolche Ideen beigebracht, gab ſeinen Wünſchen eine innigere und edlere Richtung und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/165>, abgerufen am 29.11.2024.