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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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tet, denn er schämte sich vor seiner Mutter
mehr, als vor der ganzen übrigen Welt.

Während einiger Monate fand sie keine Ur¬
sache neue Besorgnisse zu hegen, bis eines Ta¬
ges, als ein blühendes junges Landmädchen sich
einfand, um den Dienst bei ihr nachzusuchen, Fritz
dasselbe unverwandt betrachtete und endlich auf es
zutrat und, alles andere vergessend, ihm die Wan¬
gen streichelte. Er erschrak sogleich selbst darüber
und ging hinaus; die Mutter erschrak auch und
das Mädchen wurde roth und zornig und wandte
sich, ohne weitern Aufenthalt zu gehen. Als
Frau Amrain dies sah, hielt sie es zurück und
nahm es mit einiger Überredung in ihren Dienst.
Nun muß es biegen oder brechen, dachte sie und
fühlte gleichzeitig, daß auf dem bisherigen, blos
verneinenden Wege dies Blut sich nicht länger
meistern ließ. Sie näherte sich deshalb noch am
selben Tage ihrem Sohne, als er mit seinem
Vesperbrode sich unter ein schattiges Rebenspalier
gesetzt hatte, hinter dem Hause, von wo man
zum Thal hinaus in die Ferne sah nach blauen
Höhenstrichen, wo andre Leute wohnten. Sie
legte ihren Arm um seine Schultern, sah ihm

tet, denn er ſchämte ſich vor ſeiner Mutter
mehr, als vor der ganzen übrigen Welt.

Während einiger Monate fand ſie keine Ur¬
ſache neue Beſorgniſſe zu hegen, bis eines Ta¬
ges, als ein blühendes junges Landmädchen ſich
einfand, um den Dienſt bei ihr nachzuſuchen, Fritz
daſſelbe unverwandt betrachtete und endlich auf es
zutrat und, alles andere vergeſſend, ihm die Wan¬
gen ſtreichelte. Er erſchrak ſogleich ſelbſt darüber
und ging hinaus; die Mutter erſchrak auch und
das Mädchen wurde roth und zornig und wandte
ſich, ohne weitern Aufenthalt zu gehen. Als
Frau Amrain dies ſah, hielt ſie es zurück und
nahm es mit einiger Überredung in ihren Dienſt.
Nun muß es biegen oder brechen, dachte ſie und
fühlte gleichzeitig, daß auf dem bisherigen, blos
verneinenden Wege dies Blut ſich nicht länger
meiſtern ließ. Sie näherte ſich deshalb noch am
ſelben Tage ihrem Sohne, als er mit ſeinem
Vesperbrode ſich unter ein ſchattiges Rebenſpalier
geſetzt hatte, hinter dem Hauſe, von wo man
zum Thal hinaus in die Ferne ſah nach blauen
Höhenſtrichen, wo andre Leute wohnten. Sie
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[152/0164] tet, denn er ſchämte ſich vor ſeiner Mutter mehr, als vor der ganzen übrigen Welt. Während einiger Monate fand ſie keine Ur¬ ſache neue Beſorgniſſe zu hegen, bis eines Ta¬ ges, als ein blühendes junges Landmädchen ſich einfand, um den Dienſt bei ihr nachzuſuchen, Fritz daſſelbe unverwandt betrachtete und endlich auf es zutrat und, alles andere vergeſſend, ihm die Wan¬ gen ſtreichelte. Er erſchrak ſogleich ſelbſt darüber und ging hinaus; die Mutter erſchrak auch und das Mädchen wurde roth und zornig und wandte ſich, ohne weitern Aufenthalt zu gehen. Als Frau Amrain dies ſah, hielt ſie es zurück und nahm es mit einiger Überredung in ihren Dienſt. Nun muß es biegen oder brechen, dachte ſie und fühlte gleichzeitig, daß auf dem bisherigen, blos verneinenden Wege dies Blut ſich nicht länger meiſtern ließ. Sie näherte ſich deshalb noch am ſelben Tage ihrem Sohne, als er mit ſeinem Vesperbrode ſich unter ein ſchattiges Rebenſpalier geſetzt hatte, hinter dem Hauſe, von wo man zum Thal hinaus in die Ferne ſah nach blauen Höhenſtrichen, wo andre Leute wohnten. Sie legte ihren Arm um ſeine Schultern, ſah ihm

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/164>, abgerufen am 29.11.2024.