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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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denen Variationen wandte ich dieselben hin und
her und malte mir ein Leben aus, wie ein kluger
und geschickter Mann die Verkehrtheiten und Män¬
gel einer liebenswürdigen Frau täglich und stünd¬
lich in eben so viel artige und erfreuliche Aben¬
teuer zu wandeln und ihren Dummheiten mittelst
einer von Liebe und Treue getränkten Einbildungs¬
kraft einen goldenen Werth zu verleihen weiß,
so daß sie lachend auf dieselben sich noch etwas
zu gut thun kann. Der Teufel weiß, wo ich
diese geschäftige Einbildungskraft hernahm, wahr¬
scheinlich immer noch aus dem unglücklichen Shake¬
speare, den mir die Hexe gegeben, und womit sie
mich doppelt vergiftet hatte. Es nimmt mich nur
Wunder, ob sie auch selbst je mit Andacht darin
gelesen hat!"

"Kurz, als ich hinlänglich wieder berauscht
war von meinen Träumen und von meinem ent¬
legenen Posten zugleich abgelöst wurde, nahm
ich Urlaub und begab mich Hals über Kopf zu
dem Gouverneur. Er lebte noch in den alten
Verhältnissen und empfing mich ganz gut und
auch die Tochter war noch bei ihm und empfing
mich freundlicher, als ich erwartet. Kaum hatte

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 7

denen Variationen wandte ich dieſelben hin und
her und malte mir ein Leben aus, wie ein kluger
und geſchickter Mann die Verkehrtheiten und Män¬
gel einer liebenswürdigen Frau täglich und ſtünd¬
lich in eben ſo viel artige und erfreuliche Aben¬
teuer zu wandeln und ihren Dummheiten mittelſt
einer von Liebe und Treue getränkten Einbildungs¬
kraft einen goldenen Werth zu verleihen weiß,
ſo daß ſie lachend auf dieſelben ſich noch etwas
zu gut thun kann. Der Teufel weiß, wo ich
dieſe geſchäftige Einbildungskraft hernahm, wahr¬
ſcheinlich immer noch aus dem unglücklichen Shake¬
ſpeare, den mir die Hexe gegeben, und womit ſie
mich doppelt vergiftet hatte. Es nimmt mich nur
Wunder, ob ſie auch ſelbſt je mit Andacht darin
geleſen hat!«

»Kurz, als ich hinlänglich wieder berauſcht
war von meinen Träumen und von meinem ent¬
legenen Poſten zugleich abgelöſt wurde, nahm
ich Urlaub und begab mich Hals über Kopf zu
dem Gouverneur. Er lebte noch in den alten
Verhältniſſen und empfing mich ganz gut und
auch die Tochter war noch bei ihm und empfing
mich freundlicher, als ich erwartet. Kaum hatte

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 7
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[97/0109] denen Variationen wandte ich dieſelben hin und her und malte mir ein Leben aus, wie ein kluger und geſchickter Mann die Verkehrtheiten und Män¬ gel einer liebenswürdigen Frau täglich und ſtünd¬ lich in eben ſo viel artige und erfreuliche Aben¬ teuer zu wandeln und ihren Dummheiten mittelſt einer von Liebe und Treue getränkten Einbildungs¬ kraft einen goldenen Werth zu verleihen weiß, ſo daß ſie lachend auf dieſelben ſich noch etwas zu gut thun kann. Der Teufel weiß, wo ich dieſe geſchäftige Einbildungskraft hernahm, wahr¬ ſcheinlich immer noch aus dem unglücklichen Shake¬ ſpeare, den mir die Hexe gegeben, und womit ſie mich doppelt vergiftet hatte. Es nimmt mich nur Wunder, ob ſie auch ſelbſt je mit Andacht darin geleſen hat!« »Kurz, als ich hinlänglich wieder berauſcht war von meinen Träumen und von meinem ent¬ legenen Poſten zugleich abgelöſt wurde, nahm ich Urlaub und begab mich Hals über Kopf zu dem Gouverneur. Er lebte noch in den alten Verhältniſſen und empfing mich ganz gut und auch die Tochter war noch bei ihm und empfing mich freundlicher, als ich erwartet. Kaum hatte Keller, die Leute von Seldwyla. I. 7

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/109>, abgerufen am 04.05.2024.