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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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freundlich und listig: "Aber dann nachher, Jungfer
Bäbi?" "O Dietrich! erwiederte sie sanft,
wissen Sie nicht, daß es heißt, der Zug des
Schicksals ist des Herzens Stimme?" Und da¬
bei sah sie ihn von der Seite so verblümt an,
daß er abermals die Beine hob und Lust ver¬
spürte, sogleich in Trab zu gerathen. Während
die zwei Nebenbuhler ihre kleinen Felleisenfuhr¬
werke in Ordnung brachten und Dietrich das
Gleiche that, streifte sie mehrmals mit Nachdruck
seinen Elbogen oder trat ihm auf den Fuß;
auch wischte sie ihm den Staub von dem Hute,
lächelte aber gleichzeitig den Andern zu, wie
wenn sie den Schwaben auslachte, doch so, daß
es dieser nicht sehen konnte. Alle drei bliesen
jetzt mächtig die Backen auf und bliesen große
Seufzer in die Luft. Sie sahen sich um nach
allen Seiten, nahmen die Hüte ab, wischten sich
den Schweiß von der Stirn, strichen die steif
geklebten Haare und setzten die Hüte wieder
auf. Nochmals schauten sie nach allen Winden
und schnappten nach Luft. Züs erbarmte sich
ihrer und war so gerührt, daß sie selbst weinte.
"Hier sind noch drei dürre Pflaumen, sagte sie,

freundlich und liſtig: »Aber dann nachher, Jungfer
Bäbi?« »O Dietrich! erwiederte ſie ſanft,
wiſſen Sie nicht, daß es heißt, der Zug des
Schickſals iſt des Herzens Stimme?« Und da¬
bei ſah ſie ihn von der Seite ſo verblümt an,
daß er abermals die Beine hob und Luſt ver¬
ſpürte, ſogleich in Trab zu gerathen. Während
die zwei Nebenbuhler ihre kleinen Felleiſenfuhr¬
werke in Ordnung brachten und Dietrich das
Gleiche that, ſtreifte ſie mehrmals mit Nachdruck
ſeinen Elbogen oder trat ihm auf den Fuß;
auch wiſchte ſie ihm den Staub von dem Hute,
lächelte aber gleichzeitig den Andern zu, wie
wenn ſie den Schwaben auslachte, doch ſo, daß
es dieſer nicht ſehen konnte. Alle drei blieſen
jetzt mächtig die Backen auf und blieſen große
Seufzer in die Luft. Sie ſahen ſich um nach
allen Seiten, nahmen die Hüte ab, wiſchten ſich
den Schweiß von der Stirn, ſtrichen die ſteif
geklebten Haare und ſetzten die Hüte wieder
auf. Nochmals ſchauten ſie nach allen Winden
und ſchnappten nach Luft. Züs erbarmte ſich
ihrer und war ſo gerührt, daß ſie ſelbſt weinte.
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[434/0446] freundlich und liſtig: »Aber dann nachher, Jungfer Bäbi?« »O Dietrich! erwiederte ſie ſanft, wiſſen Sie nicht, daß es heißt, der Zug des Schickſals iſt des Herzens Stimme?« Und da¬ bei ſah ſie ihn von der Seite ſo verblümt an, daß er abermals die Beine hob und Luſt ver¬ ſpürte, ſogleich in Trab zu gerathen. Während die zwei Nebenbuhler ihre kleinen Felleiſenfuhr¬ werke in Ordnung brachten und Dietrich das Gleiche that, ſtreifte ſie mehrmals mit Nachdruck ſeinen Elbogen oder trat ihm auf den Fuß; auch wiſchte ſie ihm den Staub von dem Hute, lächelte aber gleichzeitig den Andern zu, wie wenn ſie den Schwaben auslachte, doch ſo, daß es dieſer nicht ſehen konnte. Alle drei blieſen jetzt mächtig die Backen auf und blieſen große Seufzer in die Luft. Sie ſahen ſich um nach allen Seiten, nahmen die Hüte ab, wiſchten ſich den Schweiß von der Stirn, ſtrichen die ſteif geklebten Haare und ſetzten die Hüte wieder auf. Nochmals ſchauten ſie nach allen Winden und ſchnappten nach Luft. Züs erbarmte ſich ihrer und war ſo gerührt, daß ſie ſelbſt weinte. »Hier ſind noch drei dürre Pflaumen, ſagte ſie,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/446>, abgerufen am 25.11.2024.