das gelehrteste Fräulein nicht kann, wenn ich über meinen Stand hinausgehen wollte; aber die Bescheidenheit und die Demuth sind die vor¬ nehmste Tugend eines rechtschaffenen Frauenzim¬ mers und es genügt mir zu wissen, daß mein Geist nicht werthlos und verachtet ist vor einer höheren Einsicht. Schon Viele haben mein be¬ gehrt, die meiner nicht werth waren, und nun auf einmal sehe ich drei würdige Junggesellen um mich versammelt, von denen ein Jeder gleich werth wäre, mich zu besitzen! Bemesset darnach, wie mein Herz in diesem wunderbaren Überflusse schmachten muß, und nehmet euch Jeder ein Bei¬ spiel an mir und denket euch, Jeder wäre von drei gleich werthen Jungfrauen umblühet, die sein begehrten, und er könnte sich um deswillen zu keiner hinneigen und gar keine bekommen! Stellt euch doch recht lebhaft vor, um Jeden von euch buhleten drei Jungfern Bünzlin, und säßen so um euch her, gekleidet wie ich und von gleichem Ansehen, so daß ich gleichsam verneun¬ facht hier vorhanden wäre und euch von allen Seiten anblickte und nach euch schmachtete! Thut ihr dies?"
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das gelehrteſte Fräulein nicht kann, wenn ich über meinen Stand hinausgehen wollte; aber die Beſcheidenheit und die Demuth ſind die vor¬ nehmſte Tugend eines rechtſchaffenen Frauenzim¬ mers und es genügt mir zu wiſſen, daß mein Geiſt nicht werthlos und verachtet iſt vor einer höheren Einſicht. Schon Viele haben mein be¬ gehrt, die meiner nicht werth waren, und nun auf einmal ſehe ich drei würdige Junggeſellen um mich verſammelt, von denen ein Jeder gleich werth wäre, mich zu beſitzen! Bemeſſet darnach, wie mein Herz in dieſem wunderbaren Überfluſſe ſchmachten muß, und nehmet euch Jeder ein Bei¬ ſpiel an mir und denket euch, Jeder wäre von drei gleich werthen Jungfrauen umblühet, die ſein begehrten, und er könnte ſich um deswillen zu keiner hinneigen und gar keine bekommen! Stellt euch doch recht lebhaft vor, um Jeden von euch buhleten drei Jungfern Bünzlin, und ſäßen ſo um euch her, gekleidet wie ich und von gleichem Anſehen, ſo daß ich gleichſam verneun¬ facht hier vorhanden wäre und euch von allen Seiten anblickte und nach euch ſchmachtete! Thut ihr dies?«
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das gelehrteſte Fräulein nicht kann, wenn ich
über meinen Stand hinausgehen wollte; aber
die Beſcheidenheit und die Demuth ſind die vor¬
nehmſte Tugend eines rechtſchaffenen Frauenzim¬
mers und es genügt mir zu wiſſen, daß mein
Geiſt nicht werthlos und verachtet iſt vor einer
höheren Einſicht. Schon Viele haben mein be¬
gehrt, die meiner nicht werth waren, und nun
auf einmal ſehe ich drei würdige Junggeſellen
um mich verſammelt, von denen ein Jeder gleich
werth wäre, mich zu beſitzen! Bemeſſet darnach,
wie mein Herz in dieſem wunderbaren Überfluſſe
ſchmachten muß, und nehmet euch Jeder ein Bei¬
ſpiel an mir und denket euch, Jeder wäre von
drei gleich werthen Jungfrauen umblühet, die
ſein begehrten, und er könnte ſich um deswillen
zu keiner hinneigen und gar keine bekommen!
Stellt euch doch recht lebhaft vor, um Jeden
von euch buhleten drei Jungfern Bünzlin, und
ſäßen ſo um euch her, gekleidet wie ich und von
gleichem Anſehen, ſo daß ich gleichſam verneun¬
facht hier vorhanden wäre und euch von allen
Seiten anblickte und nach euch ſchmachtete! Thut
ihr dies?«
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/431>, abgerufen am 27.11.2024.
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