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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ter den Fliesen hervorholten und dieselben ohne
sie zu zählen, in die Ranzen versorgten. Denn
sie wußten schon lange, daß Jeder das Geheim¬
niß der übrigen kannte, und nach alter ehrlicher
Weise mißtrauten sie sich nicht in der Weise, daß
sie eine Verletzung des Eigenthums befürchteten
und jeder wußte wohl, daß ihn die anderen nicht
berauben würden, wie denn in den Schlafkam¬
mern der Handwerksgesellen, Soldaten und der¬
gleichen kein Verschluß und kein Mißtrauen be¬
steht.

So waren sie unversehens zum Aufbruch ge¬
rüstet, der Meister zahlte ihnen den Lohn aus
und gab ihnen ihre Wanderbücher, in welche
von der Stadt und vom Meister die allerschönsten
Zeugnisse geschrieben waren über ihre gute an¬
dauernde Führung und Vortrefflichkeit, und sie
standen wehmuthsvoll vor der Hausthüre der
Züs Bünzlin, in lange braune Röcke gekleidet
mit alten verwaschenen Staubhemden darüber,
und die Hüte, obgleich sie verjährt und abge¬
bürstet genug waren, sorglich mit Wachsleinwand
überzogen. Hinten auf dem Felleisen hatte jeder
ein kleines Wägelchen befestigt, um das Gepäck

ter den Flieſen hervorholten und dieſelben ohne
ſie zu zählen, in die Ranzen verſorgten. Denn
ſie wußten ſchon lange, daß Jeder das Geheim¬
niß der übrigen kannte, und nach alter ehrlicher
Weiſe mißtrauten ſie ſich nicht in der Weiſe, daß
ſie eine Verletzung des Eigenthums befürchteten
und jeder wußte wohl, daß ihn die anderen nicht
berauben würden, wie denn in den Schlafkam¬
mern der Handwerksgeſellen, Soldaten und der¬
gleichen kein Verſchluß und kein Mißtrauen be¬
ſteht.

So waren ſie unverſehens zum Aufbruch ge¬
rüſtet, der Meiſter zahlte ihnen den Lohn aus
und gab ihnen ihre Wanderbücher, in welche
von der Stadt und vom Meiſter die allerſchönſten
Zeugniſſe geſchrieben waren über ihre gute an¬
dauernde Führung und Vortrefflichkeit, und ſie
ſtanden wehmuthsvoll vor der Hausthüre der
Züs Bünzlin, in lange braune Röcke gekleidet
mit alten verwaſchenen Staubhemden darüber,
und die Hüte, obgleich ſie verjährt und abge¬
bürſtet genug waren, ſorglich mit Wachsleinwand
überzogen. Hinten auf dem Felleiſen hatte jeder
ein kleines Wägelchen befeſtigt, um das Gepäck

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[414/0426] ter den Flieſen hervorholten und dieſelben ohne ſie zu zählen, in die Ranzen verſorgten. Denn ſie wußten ſchon lange, daß Jeder das Geheim¬ niß der übrigen kannte, und nach alter ehrlicher Weiſe mißtrauten ſie ſich nicht in der Weiſe, daß ſie eine Verletzung des Eigenthums befürchteten und jeder wußte wohl, daß ihn die anderen nicht berauben würden, wie denn in den Schlafkam¬ mern der Handwerksgeſellen, Soldaten und der¬ gleichen kein Verſchluß und kein Mißtrauen be¬ ſteht. So waren ſie unverſehens zum Aufbruch ge¬ rüſtet, der Meiſter zahlte ihnen den Lohn aus und gab ihnen ihre Wanderbücher, in welche von der Stadt und vom Meiſter die allerſchönſten Zeugniſſe geſchrieben waren über ihre gute an¬ dauernde Führung und Vortrefflichkeit, und ſie ſtanden wehmuthsvoll vor der Hausthüre der Züs Bünzlin, in lange braune Röcke gekleidet mit alten verwaſchenen Staubhemden darüber, und die Hüte, obgleich ſie verjährt und abge¬ bürſtet genug waren, ſorglich mit Wachsleinwand überzogen. Hinten auf dem Felleiſen hatte jeder ein kleines Wägelchen befeſtigt, um das Gepäck

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/426>, abgerufen am 27.11.2024.