und zu sehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu machen wäre; denn sie wünschte, daß nur einer der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den Wehklagenden und sich Bezankenden Ruhe und Ergebung und sagte: "Wisset, meine Freunde, daß Nichts ohne Bedeutung geschieht, und so merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung eures Meisters ist, so müssen wir sie doch als eine Fügung ansehen und uns mit einer höheren Weisheit, von welcher der muthwillige Mann nichts ahnt, dieser jähen Entscheidung unterwer¬ fen. Unser friedliches und verständiges Zusam¬ menleben ist zu schön gewesen, als daß es noch lange so erbaulich statt finden könnte; denn ach! alles Schöne und Ersprießliche ist ja so vergäng¬ lich und vorübergehend, und nichts besteht in die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und die Einsamkeit der Seele, die wir alsdann mit unserer frommen Vernünftigkeit betrachten und beobachten. Daher wollen wir, ehe sich etwa ein böser Dämon des Zwiespaltes unter uns er¬ hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und auseinander scheiden, wie die lieben Frühlings¬
und zu ſehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu machen wäre; denn ſie wünſchte, daß nur einer der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den Wehklagenden und ſich Bezankenden Ruhe und Ergebung und ſagte: »Wiſſet, meine Freunde, daß Nichts ohne Bedeutung geſchieht, und ſo merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung eures Meiſters iſt, ſo müſſen wir ſie doch als eine Fügung anſehen und uns mit einer höheren Weisheit, von welcher der muthwillige Mann nichts ahnt, dieſer jähen Entſcheidung unterwer¬ fen. Unſer friedliches und verſtändiges Zuſam¬ menleben iſt zu ſchön geweſen, als daß es noch lange ſo erbaulich ſtatt finden könnte; denn ach! alles Schöne und Erſprießliche iſt ja ſo vergäng¬ lich und vorübergehend, und nichts beſteht in die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und die Einſamkeit der Seele, die wir alsdann mit unſerer frommen Vernünftigkeit betrachten und beobachten. Daher wollen wir, ehe ſich etwa ein böſer Dämon des Zwieſpaltes unter uns er¬ hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und auseinander ſcheiden, wie die lieben Frühlings¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0417"n="405"/>
und zu ſehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu<lb/>
machen wäre; denn ſie wünſchte, daß nur einer<lb/>
der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr<lb/>
ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den<lb/>
Wehklagenden und ſich Bezankenden Ruhe und<lb/>
Ergebung und ſagte: »Wiſſet, meine Freunde,<lb/>
daß Nichts ohne Bedeutung geſchieht, und ſo<lb/>
merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung<lb/>
eures Meiſters iſt, ſo müſſen wir ſie doch als<lb/>
eine Fügung anſehen und uns mit einer höheren<lb/>
Weisheit, von welcher der muthwillige Mann<lb/>
nichts ahnt, dieſer jähen Entſcheidung unterwer¬<lb/>
fen. Unſer friedliches und verſtändiges Zuſam¬<lb/>
menleben iſt zu ſchön geweſen, als daß es noch<lb/>
lange ſo erbaulich ſtatt finden könnte; denn ach!<lb/>
alles Schöne und Erſprießliche iſt ja ſo vergäng¬<lb/>
lich und vorübergehend, und nichts beſteht in<lb/>
die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und<lb/>
die Einſamkeit der Seele, die wir alsdann mit<lb/>
unſerer frommen Vernünftigkeit betrachten und<lb/>
beobachten. Daher wollen wir, ehe ſich etwa<lb/>
ein böſer Dämon des Zwieſpaltes unter uns er¬<lb/>
hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und<lb/>
auseinander ſcheiden, wie die lieben Frühlings¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[405/0417]
und zu ſehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu
machen wäre; denn ſie wünſchte, daß nur einer
der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr
ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den
Wehklagenden und ſich Bezankenden Ruhe und
Ergebung und ſagte: »Wiſſet, meine Freunde,
daß Nichts ohne Bedeutung geſchieht, und ſo
merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung
eures Meiſters iſt, ſo müſſen wir ſie doch als
eine Fügung anſehen und uns mit einer höheren
Weisheit, von welcher der muthwillige Mann
nichts ahnt, dieſer jähen Entſcheidung unterwer¬
fen. Unſer friedliches und verſtändiges Zuſam¬
menleben iſt zu ſchön geweſen, als daß es noch
lange ſo erbaulich ſtatt finden könnte; denn ach!
alles Schöne und Erſprießliche iſt ja ſo vergäng¬
lich und vorübergehend, und nichts beſteht in
die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und
die Einſamkeit der Seele, die wir alsdann mit
unſerer frommen Vernünftigkeit betrachten und
beobachten. Daher wollen wir, ehe ſich etwa
ein böſer Dämon des Zwieſpaltes unter uns er¬
hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und
auseinander ſcheiden, wie die lieben Frühlings¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/417>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.