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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und zu sehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu
machen wäre; denn sie wünschte, daß nur einer
der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr
ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den
Wehklagenden und sich Bezankenden Ruhe und
Ergebung und sagte: "Wisset, meine Freunde,
daß Nichts ohne Bedeutung geschieht, und so
merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung
eures Meisters ist, so müssen wir sie doch als
eine Fügung ansehen und uns mit einer höheren
Weisheit, von welcher der muthwillige Mann
nichts ahnt, dieser jähen Entscheidung unterwer¬
fen. Unser friedliches und verständiges Zusam¬
menleben ist zu schön gewesen, als daß es noch
lange so erbaulich statt finden könnte; denn ach!
alles Schöne und Ersprießliche ist ja so vergäng¬
lich und vorübergehend, und nichts besteht in
die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und
die Einsamkeit der Seele, die wir alsdann mit
unserer frommen Vernünftigkeit betrachten und
beobachten. Daher wollen wir, ehe sich etwa
ein böser Dämon des Zwiespaltes unter uns er¬
hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und
auseinander scheiden, wie die lieben Frühlings¬

und zu ſehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu
machen wäre; denn ſie wünſchte, daß nur einer
der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr
ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den
Wehklagenden und ſich Bezankenden Ruhe und
Ergebung und ſagte: »Wiſſet, meine Freunde,
daß Nichts ohne Bedeutung geſchieht, und ſo
merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung
eures Meiſters iſt, ſo müſſen wir ſie doch als
eine Fügung anſehen und uns mit einer höheren
Weisheit, von welcher der muthwillige Mann
nichts ahnt, dieſer jähen Entſcheidung unterwer¬
fen. Unſer friedliches und verſtändiges Zuſam¬
menleben iſt zu ſchön geweſen, als daß es noch
lange ſo erbaulich ſtatt finden könnte; denn ach!
alles Schöne und Erſprießliche iſt ja ſo vergäng¬
lich und vorübergehend, und nichts beſteht in
die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und
die Einſamkeit der Seele, die wir alsdann mit
unſerer frommen Vernünftigkeit betrachten und
beobachten. Daher wollen wir, ehe ſich etwa
ein böſer Dämon des Zwieſpaltes unter uns er¬
hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und
auseinander ſcheiden, wie die lieben Frühlings¬

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[405/0417] und zu ſehen, was etwa zu ihrem Vortheil zu machen wäre; denn ſie wünſchte, daß nur einer der zwei ältern Sieger würde, und es war ihr ganz gleichgültig, welcher. Sie befahl daher den Wehklagenden und ſich Bezankenden Ruhe und Ergebung und ſagte: »Wiſſet, meine Freunde, daß Nichts ohne Bedeutung geſchieht, und ſo merkwürdig und ungewöhnlich die Zumuthung eures Meiſters iſt, ſo müſſen wir ſie doch als eine Fügung anſehen und uns mit einer höheren Weisheit, von welcher der muthwillige Mann nichts ahnt, dieſer jähen Entſcheidung unterwer¬ fen. Unſer friedliches und verſtändiges Zuſam¬ menleben iſt zu ſchön geweſen, als daß es noch lange ſo erbaulich ſtatt finden könnte; denn ach! alles Schöne und Erſprießliche iſt ja ſo vergäng¬ lich und vorübergehend, und nichts beſteht in die Länge, als das Übel, das Hartnäckige und die Einſamkeit der Seele, die wir alsdann mit unſerer frommen Vernünftigkeit betrachten und beobachten. Daher wollen wir, ehe ſich etwa ein böſer Dämon des Zwieſpaltes unter uns er¬ hebt, uns lieber vorher freiwillig trennen und auseinander ſcheiden, wie die lieben Frühlings¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/417>, abgerufen am 28.11.2024.