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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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an, wie mit einer Glocke, so daß es ein fröhlicher
Morgen ward. Aber kurz darauf entfloh der
falsche Mensch aus der Gegend und ließ nie
wieder von sich hören. Sein Meister verlangte
obenein noch den Mörser zurück, da der Entflo¬
hene ihn seinem Laden entnommen aber nicht
bezahlt habe. Aber Züs Bünzlin gab das
werthe Andenken nicht heraus, sondern führte
einen tapfern und heftigen kleinen Proceß darum,
den sie selbst vor Gericht vertheidigte auf Grund¬
lage einer Rechnung für gewaschene Vorhemden
des Entwichenen. Dies waren, als sie den
Streit um den Mörser führen mußte, die bedeut¬
samsten und schmerzhaftesten Tage ihres Lebens,
da sie mit ihrem tiefen Verstande die Dinge
und besonders das Erscheinen vor Gericht um
solch' zarter Sache willen viel lebendiger begriff
und empfand, als andere leichtere Leute. Doch
erstritt sie den Sieg und behielt den Mörser.

Wenn aber die zierliche Seifengallerie ihre
Werkthätigkeit und ihren exacten Sinn verkün¬
dete, so pries nicht minder ihren erbaulichen und
geschulten Geist ein Häufchen unterschiedlicher
Bücher, welches am Fenster ordentlich aufgeschich¬

an, wie mit einer Glocke, ſo daß es ein fröhlicher
Morgen ward. Aber kurz darauf entfloh der
falſche Menſch aus der Gegend und ließ nie
wieder von ſich hören. Sein Meiſter verlangte
obenein noch den Mörſer zurück, da der Entflo¬
hene ihn ſeinem Laden entnommen aber nicht
bezahlt habe. Aber Züs Bünzlin gab das
werthe Andenken nicht heraus, ſondern führte
einen tapfern und heftigen kleinen Proceß darum,
den ſie ſelbſt vor Gericht vertheidigte auf Grund¬
lage einer Rechnung für gewaſchene Vorhemden
des Entwichenen. Dies waren, als ſie den
Streit um den Mörſer führen mußte, die bedeut¬
ſamſten und ſchmerzhafteſten Tage ihres Lebens,
da ſie mit ihrem tiefen Verſtande die Dinge
und beſonders das Erſcheinen vor Gericht um
ſolch' zarter Sache willen viel lebendiger begriff
und empfand, als andere leichtere Leute. Doch
erſtritt ſie den Sieg und behielt den Mörſer.

Wenn aber die zierliche Seifengallerie ihre
Werkthätigkeit und ihren exacten Sinn verkün¬
dete, ſo pries nicht minder ihren erbaulichen und
geſchulten Geiſt ein Häufchen unterſchiedlicher
Bücher, welches am Fenſter ordentlich aufgeſchich¬

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[388/0400] an, wie mit einer Glocke, ſo daß es ein fröhlicher Morgen ward. Aber kurz darauf entfloh der falſche Menſch aus der Gegend und ließ nie wieder von ſich hören. Sein Meiſter verlangte obenein noch den Mörſer zurück, da der Entflo¬ hene ihn ſeinem Laden entnommen aber nicht bezahlt habe. Aber Züs Bünzlin gab das werthe Andenken nicht heraus, ſondern führte einen tapfern und heftigen kleinen Proceß darum, den ſie ſelbſt vor Gericht vertheidigte auf Grund¬ lage einer Rechnung für gewaſchene Vorhemden des Entwichenen. Dies waren, als ſie den Streit um den Mörſer führen mußte, die bedeut¬ ſamſten und ſchmerzhafteſten Tage ihres Lebens, da ſie mit ihrem tiefen Verſtande die Dinge und beſonders das Erſcheinen vor Gericht um ſolch' zarter Sache willen viel lebendiger begriff und empfand, als andere leichtere Leute. Doch erſtritt ſie den Sieg und behielt den Mörſer. Wenn aber die zierliche Seifengallerie ihre Werkthätigkeit und ihren exacten Sinn verkün¬ dete, ſo pries nicht minder ihren erbaulichen und geſchulten Geiſt ein Häufchen unterſchiedlicher Bücher, welches am Fenſter ordentlich aufgeſchich¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/400>, abgerufen am 30.11.2024.