Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.sich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten So brachte sie drei Jahre in ihrer Klause zu; An einem rauhen Herbsttage endlich hieß es, die ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu; An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0158" n="144"/> ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten<lb/> ſich über den Beſitz einer ſolchen Heiligen und hüteten<lb/> die Einſiedelei unter den Bäumen wie einen Augapfel.<lb/> Viele kamen, Rath und Fürbitte zu holen. Vorzüg¬<lb/> lich brachte man junge Mädchen zu ihr, welche etwas<lb/> träg und unbeholfen auf den Füßen waren, da man<lb/> bemerkt hatte, daß alle, welche ſie berührt, alſobald<lb/> leichten und anmuthvollen Ganges wurden.</p><lb/> <p>So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu;<lb/> aber gegen das Ende des dritten Jahres war Muſa<lb/> faſt ſo dünn und durchſichtig wie ein Sommerwölk¬<lb/> lein geworden. Sie lag beſtändig auf ihrem Bettchen<lb/> von Moos und ſchaute voll Sehnſucht in den Himmel,<lb/> und ſie glaubte ſchon die goldenen Sohlen der Seli¬<lb/> gen durch das Blau hindurch tanzen und ſchleifen zu<lb/> ſehen.</p><lb/> <p>An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die<lb/> Heilige liege im Sterben. Sie hatte ſich das dunkle<lb/> Bußkleid ausziehen und mit blendend weißen Hochzeits¬<lb/> gewändern bekleiden laſſen. So lag ſie mit gefal¬<lb/> teten Händen und erwartete lächelnd die Todesſtunde.<lb/> Der ganze Garten war mit andächtigen Menſchen<lb/> angefüllt, die Lüfte rauſchten und die Blätter der<lb/> Bäume ſanken von allen Seiten hernieder. Aber un¬<lb/> verſehens wandelte ſich das Wehen des Windes in<lb/> Muſik, in allen Baumkronen ſchien dieſelbe zu ſpie¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [144/0158]
ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten
ſich über den Beſitz einer ſolchen Heiligen und hüteten
die Einſiedelei unter den Bäumen wie einen Augapfel.
Viele kamen, Rath und Fürbitte zu holen. Vorzüg¬
lich brachte man junge Mädchen zu ihr, welche etwas
träg und unbeholfen auf den Füßen waren, da man
bemerkt hatte, daß alle, welche ſie berührt, alſobald
leichten und anmuthvollen Ganges wurden.
So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu;
aber gegen das Ende des dritten Jahres war Muſa
faſt ſo dünn und durchſichtig wie ein Sommerwölk¬
lein geworden. Sie lag beſtändig auf ihrem Bettchen
von Moos und ſchaute voll Sehnſucht in den Himmel,
und ſie glaubte ſchon die goldenen Sohlen der Seli¬
gen durch das Blau hindurch tanzen und ſchleifen zu
ſehen.
An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die
Heilige liege im Sterben. Sie hatte ſich das dunkle
Bußkleid ausziehen und mit blendend weißen Hochzeits¬
gewändern bekleiden laſſen. So lag ſie mit gefal¬
teten Händen und erwartete lächelnd die Todesſtunde.
Der ganze Garten war mit andächtigen Menſchen
angefüllt, die Lüfte rauſchten und die Blätter der
Bäume ſanken von allen Seiten hernieder. Aber un¬
verſehens wandelte ſich das Wehen des Windes in
Muſik, in allen Baumkronen ſchien dieſelbe zu ſpie¬
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