Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.Himmel führte, nicht ahnend, daß sich Amor hinten Auf einem Carneol endlich tummelte sich Amor Diese Scenen reizten den Alten zu einigen Disti¬ Da that sie einen tiefen Seufzer und sagte: "Ach, Ueber diese Worte erstaunte der alte Herr nicht Himmel führte, nicht ahnend, daß ſich Amor hinten Auf einem Carneol endlich tummelte ſich Amor Dieſe Scenen reizten den Alten zu einigen Diſti¬ Da that ſie einen tiefen Seufzer und ſagte: „Ach, Ueber dieſe Worte erſtaunte der alte Herr nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0125" n="111"/> Himmel führte, nicht ahnend, daß ſich Amor hinten<lb/> aufgehockt, während umherſchwärmende Amoretten auf<lb/> griechiſch ihr zuriefen: Es ſitzt Einer hintenauf! Ein<lb/> prächtiger Onix zeigte Minerva, welche achtlos ſinnend<lb/> den Amor auf dem Schoße hielt, der mit ſeiner Hand eifrig<lb/> ihren Bruſtharniſch polirte, um ſich darin zu ſpiegeln.</p><lb/> <p>Auf einem Carneol endlich tummelte ſich Amor<lb/> als ein Salamander in einem veſtaliſchen Feuer herum<lb/> und ſetzte die Hüterin desſelben in Verwirrung und<lb/> Schrecken.</p><lb/> <p>Dieſe Scenen reizten den Alten zu einigen Diſti¬<lb/> chen und er beſann ſich, welches er zuerſt in Angriff<lb/> nehmen wolle, als ſein Töchterchen Jole blaß und<lb/> überwacht durch den Garten kam. Beſorgt und ver¬<lb/> wundert rief er ſie an und fragte, was ihr den<lb/> Schlaf geraubt habe? Ehe ſie aber antworten konnte,<lb/> zeigte er ihr ſeine Kleinode und erklärte ihr den Sinn<lb/> derſelben.</p><lb/> <p>Da that ſie einen tiefen Seufzer und ſagte: „Ach,<lb/> wenn alle dieſe großen Mächte, die Keuſchheit ſelbſt,<lb/> die Weisheit und die Religion ſich nicht vor der Liebe<lb/> bewahren können, wie ſoll ich armes unbedeutendes<lb/> Geſchöpf mich wider ſie befeſtigen?“</p><lb/> <p>Ueber dieſe Worte erſtaunte der alte Herr nicht<lb/> wenig. „Was muß ich hören?“ ſagte er, „ſollte dich<lb/> das Geſchoß des ſtarken Eros getroffen haben?“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [111/0125]
Himmel führte, nicht ahnend, daß ſich Amor hinten
aufgehockt, während umherſchwärmende Amoretten auf
griechiſch ihr zuriefen: Es ſitzt Einer hintenauf! Ein
prächtiger Onix zeigte Minerva, welche achtlos ſinnend
den Amor auf dem Schoße hielt, der mit ſeiner Hand eifrig
ihren Bruſtharniſch polirte, um ſich darin zu ſpiegeln.
Auf einem Carneol endlich tummelte ſich Amor
als ein Salamander in einem veſtaliſchen Feuer herum
und ſetzte die Hüterin desſelben in Verwirrung und
Schrecken.
Dieſe Scenen reizten den Alten zu einigen Diſti¬
chen und er beſann ſich, welches er zuerſt in Angriff
nehmen wolle, als ſein Töchterchen Jole blaß und
überwacht durch den Garten kam. Beſorgt und ver¬
wundert rief er ſie an und fragte, was ihr den
Schlaf geraubt habe? Ehe ſie aber antworten konnte,
zeigte er ihr ſeine Kleinode und erklärte ihr den Sinn
derſelben.
Da that ſie einen tiefen Seufzer und ſagte: „Ach,
wenn alle dieſe großen Mächte, die Keuſchheit ſelbſt,
die Weisheit und die Religion ſich nicht vor der Liebe
bewahren können, wie ſoll ich armes unbedeutendes
Geſchöpf mich wider ſie befeſtigen?“
Ueber dieſe Worte erſtaunte der alte Herr nicht
wenig. „Was muß ich hören?“ ſagte er, „ſollte dich
das Geſchoß des ſtarken Eros getroffen haben?“
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/125>, abgerufen am 16.07.2024. |