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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Person ein für allemal ihrem Schicksal überlassen
oder versuchen solle, ihr diese letzte Grille auch noch
auszutreiben, welche ihm die bedenklichste von allen
und für ihn selbst nicht ganz ungefährlich schien.
Doch eine zornige Schamröthe stieg ihm in's Haupt
bei den Gedanken, daß dergleichen für ihn selbst ge¬
fährlich sein sollte; aber dann fiel ihm gleich wieder
ein, daß der Teufel ihm ein Netz gestellt haben
könnte, und wenn dem so wäre, so sei dieses am Besten
bei Zeiten zu fliehen. Aber feldflüchtig werden vor
solchem federleichten Teufelsspuck? Und wenn das
arme Geschöpfchen wirklich es gut meinte und durch
einige kräftige grobe Worte von seiner letzten unzu¬
kömmlichen Phantasie zu heilen wäre? Kurz, Vitalis
konnte nicht mit sich einig werden, und das um so
weniger, als auf dem Grunde seines Herzens bereits
ein dunkles Wogen das Schifflein seiner Vernunft
zum Schaukeln brachte.

Er schlüpfte daher in seiner Bedrängniß in ein
Gotteshäuschen, wo vor Kurzem ein schönes altes
Marmorbild der Göttin Juno, mit einem goldenen
Heiligenschein versehen, als Marienbild aufgestellt
worden war, um diese Gottesgabe der Kunst nicht
umkommen zu lassen. Vor dieser Maria warf er sich
nieder und trug ihr inbrünstig seinen Zweifel vor
und er bat seine Meisterin um ein Zeichen. Wenn

Perſon ein für allemal ihrem Schickſal überlaſſen
oder verſuchen ſolle, ihr dieſe letzte Grille auch noch
auszutreiben, welche ihm die bedenklichſte von allen
und für ihn ſelbſt nicht ganz ungefährlich ſchien.
Doch eine zornige Schamröthe ſtieg ihm in's Haupt
bei den Gedanken, daß dergleichen für ihn ſelbſt ge¬
fährlich ſein ſollte; aber dann fiel ihm gleich wieder
ein, daß der Teufel ihm ein Netz geſtellt haben
könnte, und wenn dem ſo wäre, ſo ſei dieſes am Beſten
bei Zeiten zu fliehen. Aber feldflüchtig werden vor
ſolchem federleichten Teufelsſpuck? Und wenn das
arme Geſchöpfchen wirklich es gut meinte und durch
einige kräftige grobe Worte von ſeiner letzten unzu¬
kömmlichen Phantaſie zu heilen wäre? Kurz, Vitalis
konnte nicht mit ſich einig werden, und das um ſo
weniger, als auf dem Grunde ſeines Herzens bereits
ein dunkles Wogen das Schifflein ſeiner Vernunft
zum Schaukeln brachte.

Er ſchlüpfte daher in ſeiner Bedrängniß in ein
Gotteshäuschen, wo vor Kurzem ein ſchönes altes
Marmorbild der Göttin Juno, mit einem goldenen
Heiligenſchein verſehen, als Marienbild aufgeſtellt
worden war, um dieſe Gottesgabe der Kunſt nicht
umkommen zu laſſen. Vor dieſer Maria warf er ſich
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[109/0123] Perſon ein für allemal ihrem Schickſal überlaſſen oder verſuchen ſolle, ihr dieſe letzte Grille auch noch auszutreiben, welche ihm die bedenklichſte von allen und für ihn ſelbſt nicht ganz ungefährlich ſchien. Doch eine zornige Schamröthe ſtieg ihm in's Haupt bei den Gedanken, daß dergleichen für ihn ſelbſt ge¬ fährlich ſein ſollte; aber dann fiel ihm gleich wieder ein, daß der Teufel ihm ein Netz geſtellt haben könnte, und wenn dem ſo wäre, ſo ſei dieſes am Beſten bei Zeiten zu fliehen. Aber feldflüchtig werden vor ſolchem federleichten Teufelsſpuck? Und wenn das arme Geſchöpfchen wirklich es gut meinte und durch einige kräftige grobe Worte von ſeiner letzten unzu¬ kömmlichen Phantaſie zu heilen wäre? Kurz, Vitalis konnte nicht mit ſich einig werden, und das um ſo weniger, als auf dem Grunde ſeines Herzens bereits ein dunkles Wogen das Schifflein ſeiner Vernunft zum Schaukeln brachte. Er ſchlüpfte daher in ſeiner Bedrängniß in ein Gotteshäuschen, wo vor Kurzem ein ſchönes altes Marmorbild der Göttin Juno, mit einem goldenen Heiligenſchein verſehen, als Marienbild aufgeſtellt worden war, um dieſe Gottesgabe der Kunſt nicht umkommen zu laſſen. Vor dieſer Maria warf er ſich nieder und trug ihr inbrünſtig ſeinen Zweifel vor und er bat ſeine Meiſterin um ein Zeichen. Wenn

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/123>, abgerufen am 28.03.2024.