Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was sie So entdeckte sie auch den Verkehr des Mönches was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="99"/> was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie<lb/> den langen Tag hindurch beginnen ſollte. Denn ihr<lb/> Vater der ſich zur Ruhe geſetzt hatte, ſtudirte den<lb/> Plato, und wenn er deſſen müde war, ſo verfaßte er zier¬<lb/> liche Xenien über die geſchnittenen antiken Steine, deren er<lb/> eine Menge ſammelte und beſaß. Jole hingegen, wenn<lb/> ſie ihr Saitenſpiel bei Seite geſtellt hatte, wußte ihren<lb/> lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig<lb/> in den Himmel und in die Ferne, wo ſich eine Oeffnung bot.</p><lb/> <p>So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches<lb/> in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit<lb/> dem berüchtigten Klerikus habe. Erſchreckt und ſcheu<lb/> betrachtete ſie ihn von ihrem ſicheren Verſteck aus und<lb/> konnte nicht umhin, ſeine ſtattliche Geſtalt und ſein<lb/> männliches Ausſehen zu bedauern. Als ſie aber von<lb/> einer Sklavin, welche mit der Sklavin der böſen Buh¬<lb/> lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer<lb/> betrogen würde, und wie es ſich in Wahrheit mit<lb/> ihm verhalte, da verwunderte ſie ſich über alle Maßen,<lb/> und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬<lb/> fiel ſie ein ſeltſamer Zorn und ſie hielt dieſe Art<lb/> Heiligkeit der Ehre ihres Geſchlechts nicht für zuträg¬<lb/> lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber<lb/> und immer unzufriedener wurde ſie, während gleich¬<lb/> zeitig ihre Theilnahme für den Mönch ſich erhöhte<lb/> und mit jenem Zorne kreuzte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [99/0113]
was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie
den langen Tag hindurch beginnen ſollte. Denn ihr
Vater der ſich zur Ruhe geſetzt hatte, ſtudirte den
Plato, und wenn er deſſen müde war, ſo verfaßte er zier¬
liche Xenien über die geſchnittenen antiken Steine, deren er
eine Menge ſammelte und beſaß. Jole hingegen, wenn
ſie ihr Saitenſpiel bei Seite geſtellt hatte, wußte ihren
lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig
in den Himmel und in die Ferne, wo ſich eine Oeffnung bot.
So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches
in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit
dem berüchtigten Klerikus habe. Erſchreckt und ſcheu
betrachtete ſie ihn von ihrem ſicheren Verſteck aus und
konnte nicht umhin, ſeine ſtattliche Geſtalt und ſein
männliches Ausſehen zu bedauern. Als ſie aber von
einer Sklavin, welche mit der Sklavin der böſen Buh¬
lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer
betrogen würde, und wie es ſich in Wahrheit mit
ihm verhalte, da verwunderte ſie ſich über alle Maßen,
und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬
fiel ſie ein ſeltſamer Zorn und ſie hielt dieſe Art
Heiligkeit der Ehre ihres Geſchlechts nicht für zuträg¬
lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber
und immer unzufriedener wurde ſie, während gleich¬
zeitig ihre Theilnahme für den Mönch ſich erhöhte
und mit jenem Zorne kreuzte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |