was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was sie den langen Tag hindurch beginnen sollte. Denn ihr Vater der sich zur Ruhe gesetzt hatte, studirte den Plato, und wenn er dessen müde war, so verfaßte er zier¬ liche Xenien über die geschnittenen antiken Steine, deren er eine Menge sammelte und besaß. Jole hingegen, wenn sie ihr Saitenspiel bei Seite gestellt hatte, wußte ihren lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig in den Himmel und in die Ferne, wo sich eine Oeffnung bot.
So entdeckte sie auch den Verkehr des Mönches in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit dem berüchtigten Klerikus habe. Erschreckt und scheu betrachtete sie ihn von ihrem sicheren Versteck aus und konnte nicht umhin, seine stattliche Gestalt und sein männliches Aussehen zu bedauern. Als sie aber von einer Sklavin, welche mit der Sklavin der bösen Buh¬ lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer betrogen würde, und wie es sich in Wahrheit mit ihm verhalte, da verwunderte sie sich über alle Maßen, und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬ fiel sie ein seltsamer Zorn und sie hielt diese Art Heiligkeit der Ehre ihres Geschlechts nicht für zuträg¬ lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber und immer unzufriedener wurde sie, während gleich¬ zeitig ihre Theilnahme für den Mönch sich erhöhte und mit jenem Zorne kreuzte.
was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie den langen Tag hindurch beginnen ſollte. Denn ihr Vater der ſich zur Ruhe geſetzt hatte, ſtudirte den Plato, und wenn er deſſen müde war, ſo verfaßte er zier¬ liche Xenien über die geſchnittenen antiken Steine, deren er eine Menge ſammelte und beſaß. Jole hingegen, wenn ſie ihr Saitenſpiel bei Seite geſtellt hatte, wußte ihren lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig in den Himmel und in die Ferne, wo ſich eine Oeffnung bot.
So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit dem berüchtigten Klerikus habe. Erſchreckt und ſcheu betrachtete ſie ihn von ihrem ſicheren Verſteck aus und konnte nicht umhin, ſeine ſtattliche Geſtalt und ſein männliches Ausſehen zu bedauern. Als ſie aber von einer Sklavin, welche mit der Sklavin der böſen Buh¬ lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer betrogen würde, und wie es ſich in Wahrheit mit ihm verhalte, da verwunderte ſie ſich über alle Maßen, und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬ fiel ſie ein ſeltſamer Zorn und ſie hielt dieſe Art Heiligkeit der Ehre ihres Geſchlechts nicht für zuträg¬ lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber und immer unzufriedener wurde ſie, während gleich¬ zeitig ihre Theilnahme für den Mönch ſich erhöhte und mit jenem Zorne kreuzte.
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was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie
den langen Tag hindurch beginnen ſollte. Denn ihr
Vater der ſich zur Ruhe geſetzt hatte, ſtudirte den
Plato, und wenn er deſſen müde war, ſo verfaßte er zier¬
liche Xenien über die geſchnittenen antiken Steine, deren er
eine Menge ſammelte und beſaß. Jole hingegen, wenn
ſie ihr Saitenſpiel bei Seite geſtellt hatte, wußte ihren
lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig
in den Himmel und in die Ferne, wo ſich eine Oeffnung bot.
So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches
in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit
dem berüchtigten Klerikus habe. Erſchreckt und ſcheu
betrachtete ſie ihn von ihrem ſicheren Verſteck aus und
konnte nicht umhin, ſeine ſtattliche Geſtalt und ſein
männliches Ausſehen zu bedauern. Als ſie aber von
einer Sklavin, welche mit der Sklavin der böſen Buh¬
lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer
betrogen würde, und wie es ſich in Wahrheit mit
ihm verhalte, da verwunderte ſie ſich über alle Maßen,
und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬
fiel ſie ein ſeltſamer Zorn und ſie hielt dieſe Art
Heiligkeit der Ehre ihres Geſchlechts nicht für zuträg¬
lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber
und immer unzufriedener wurde ſie, während gleich¬
zeitig ihre Theilnahme für den Mönch ſich erhöhte
und mit jenem Zorne kreuzte.
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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/113>, abgerufen am 16.07.2024.
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