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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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tisches Bewußtsein hier zurücktrat vor der allge¬
meinen Kluft, welche durch alle europäische Er¬
ziehung sich ausdehnt. Diese durcheinanderwo¬
genden Jünglinge erschienen ihm auf den ersten
Blick rücksichtslos und selbstgefällig, und in Er¬
wartung von Amt und Würden, welche sie zu
verhöhnen vorgaben, einstweilen ihren Entwicke¬
lungszustand zu einer Art souverainer Autorität
machend, von welcher aus Alles sich bemessen und
verachten ließe; ja innerhalb derselben schien es
noch verschiedene Kasten, Stufen und Abzeichen
zu geben, als reichliche Gelegenheit, schon hier,
unter dem Deckmantel der akademischen Freiheit,
den Corporalsstab der Autorität tüchtig zu
schwingen, und mancher jugendliche Führer sah
schon leibhaftig aus, wie ein Recruten quälender
Corporal.

Doch diese Eindrücke wechselten rasch mit an¬
deren, als Heinrich in den bezeichneten Hörsaal
trat, dessen Bänke noch leer waren. Die kahle
Wand, die schwarze Tafel an derselben, die zer¬
schnittenen und mit Tinte beklecksten Tische, Alles
erweckte in ihm das Gefühl, als verwirkliche sich

tiſches Bewußtſein hier zuruͤcktrat vor der allge¬
meinen Kluft, welche durch alle europaͤiſche Er¬
ziehung ſich ausdehnt. Dieſe durcheinanderwo¬
genden Juͤnglinge erſchienen ihm auf den erſten
Blick ruͤckſichtslos und ſelbſtgefaͤllig, und in Er¬
wartung von Amt und Wuͤrden, welche ſie zu
verhoͤhnen vorgaben, einſtweilen ihren Entwicke¬
lungszuſtand zu einer Art ſouverainer Autoritaͤt
machend, von welcher aus Alles ſich bemeſſen und
verachten ließe; ja innerhalb derſelben ſchien es
noch verſchiedene Kaſten, Stufen und Abzeichen
zu geben, als reichliche Gelegenheit, ſchon hier,
unter dem Deckmantel der akademiſchen Freiheit,
den Corporalsſtab der Autoritaͤt tuͤchtig zu
ſchwingen, und mancher jugendliche Fuͤhrer ſah
ſchon leibhaftig aus, wie ein Recruten quaͤlender
Corporal.

Doch dieſe Eindruͤcke wechſelten raſch mit an¬
deren, als Heinrich in den bezeichneten Hoͤrſaal
trat, deſſen Baͤnke noch leer waren. Die kahle
Wand, die ſchwarze Tafel an derſelben, die zer¬
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[43/0053] tiſches Bewußtſein hier zuruͤcktrat vor der allge¬ meinen Kluft, welche durch alle europaͤiſche Er¬ ziehung ſich ausdehnt. Dieſe durcheinanderwo¬ genden Juͤnglinge erſchienen ihm auf den erſten Blick ruͤckſichtslos und ſelbſtgefaͤllig, und in Er¬ wartung von Amt und Wuͤrden, welche ſie zu verhoͤhnen vorgaben, einſtweilen ihren Entwicke¬ lungszuſtand zu einer Art ſouverainer Autoritaͤt machend, von welcher aus Alles ſich bemeſſen und verachten ließe; ja innerhalb derſelben ſchien es noch verſchiedene Kaſten, Stufen und Abzeichen zu geben, als reichliche Gelegenheit, ſchon hier, unter dem Deckmantel der akademiſchen Freiheit, den Corporalsſtab der Autoritaͤt tuͤchtig zu ſchwingen, und mancher jugendliche Fuͤhrer ſah ſchon leibhaftig aus, wie ein Recruten quaͤlender Corporal. Doch dieſe Eindruͤcke wechſelten raſch mit an¬ deren, als Heinrich in den bezeichneten Hoͤrſaal trat, deſſen Baͤnke noch leer waren. Die kahle Wand, die ſchwarze Tafel an derſelben, die zer¬ ſchnittenen und mit Tinte bekleckſten Tiſche, Alles erweckte in ihm das Gefuͤhl, als verwirkliche ſich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/53>, abgerufen am 22.11.2024.