Der ältere Freund reiste noch am selben Tage auf sein Gut zurück und der jüngere machte sich endlich am nächsten Morgen auf den Heimweg. Es widerstrebte ihm, den alten geraden Weg, den er unter wechselndem Geschick schon so oft zur Hälfte zurückgelegt, abermals anzutreten, und reiste daher in einem Bogen durch Süddeutsch¬ land auf die Stadt Basel zu. Er war nun ge¬ rade sieben Jahre abwesend; dies dünkte ihn, so schnell sie auch vorübergeschwunden, jetzt eine Ewig¬ keit, da ihm mit einemmale, als er sich dem Va¬ terlande nähern sollte, Alles schwer auf's Herz fiel, was sich in demselben begeben, ohne daß er den allerkleinsten Theil daran hatte. Noch schwe¬ rer fiel ihm die Mutter auf's Gewissen, die er nun endlich wiedersehen sollte, und in die Freude und Hoffnung über das Wiedersehen mischte sich eine seltsame Beklemmung und Furcht, wenn er sich die Veränderung dachte, welche mit ihrem äußeren Aussehen vorgegangen sein mußte, und er fühlte die Flucht und das Gewicht dieser sie¬ ben Jahre tief mit für die alternde Mutter. Seit seine erste Heimreise so romantisch unter¬
lV. 29
Der aͤltere Freund reiſte noch am ſelben Tage auf ſein Gut zuruͤck und der juͤngere machte ſich endlich am naͤchſten Morgen auf den Heimweg. Es widerſtrebte ihm, den alten geraden Weg, den er unter wechſelndem Geſchick ſchon ſo oft zur Haͤlfte zuruͤckgelegt, abermals anzutreten, und reiſte daher in einem Bogen durch Suͤddeutſch¬ land auf die Stadt Baſel zu. Er war nun ge¬ rade ſieben Jahre abweſend; dies duͤnkte ihn, ſo ſchnell ſie auch voruͤbergeſchwunden, jetzt eine Ewig¬ keit, da ihm mit einemmale, als er ſich dem Va¬ terlande naͤhern ſollte, Alles ſchwer auf's Herz fiel, was ſich in demſelben begeben, ohne daß er den allerkleinſten Theil daran hatte. Noch ſchwe¬ rer fiel ihm die Mutter auf's Gewiſſen, die er nun endlich wiederſehen ſollte, und in die Freude und Hoffnung uͤber das Wiederſehen miſchte ſich eine ſeltſame Beklemmung und Furcht, wenn er ſich die Veraͤnderung dachte, welche mit ihrem aͤußeren Ausſehen vorgegangen ſein mußte, und er fuͤhlte die Flucht und das Gewicht dieſer ſie¬ ben Jahre tief mit fuͤr die alternde Mutter. Seit ſeine erſte Heimreiſe ſo romantiſch unter¬
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Der aͤltere Freund reiſte noch am ſelben Tage
auf ſein Gut zuruͤck und der juͤngere machte ſich
endlich am naͤchſten Morgen auf den Heimweg.
Es widerſtrebte ihm, den alten geraden Weg,
den er unter wechſelndem Geſchick ſchon ſo oft
zur Haͤlfte zuruͤckgelegt, abermals anzutreten, und
reiſte daher in einem Bogen durch Suͤddeutſch¬
land auf die Stadt Baſel zu. Er war nun ge¬
rade ſieben Jahre abweſend; dies duͤnkte ihn, ſo
ſchnell ſie auch voruͤbergeſchwunden, jetzt eine Ewig¬
keit, da ihm mit einemmale, als er ſich dem Va¬
terlande naͤhern ſollte, Alles ſchwer auf's Herz
fiel, was ſich in demſelben begeben, ohne daß er
den allerkleinſten Theil daran hatte. Noch ſchwe¬
rer fiel ihm die Mutter auf's Gewiſſen, die er
nun endlich wiederſehen ſollte, und in die Freude
und Hoffnung uͤber das Wiederſehen miſchte ſich
eine ſeltſame Beklemmung und Furcht, wenn er
ſich die Veraͤnderung dachte, welche mit ihrem
aͤußeren Ausſehen vorgegangen ſein mußte, und
er fuͤhlte die Flucht und das Gewicht dieſer ſie¬
ben Jahre tief mit fuͤr die alternde Mutter.
Seit ſeine erſte Heimreiſe ſo romantiſch unter¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/459>, abgerufen am 29.11.2024.
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