trocknete es mit frohem Sinn und einem frischen Handtuch sorgfältig ab, und nun gossen sie die erste Flasche in den Becher und tranken denselben zum Andenken an den todten Alten.
Beim zweiten Becher aber sagte der Graf: "Nun wollen wir auch Brüderschaft trinken und uns fortan mit Du anreden, denn wir wollen uns getreu bleiben und gute Freunde sein!"
Heinrich wurde ganz roth und sah tief in den Becher hinein, ohne es zu wagen, das edle An¬ erbieten seines Freundes anzunehmen, noch auch, es abzulehnen, da zum ersten Mal ein viel älte¬ rer und ganzer Mann, dessen Haare schon ergrau¬ ten, ihm solches anbot. Endlich aber gewann er durch den Werth, welcher durch des Mannes Ver¬ trauen und Freundschaft in ihn gelegt wurde, einen guten Muth und er gab dem Grafen die Hand und sah ihn an; doch erst nach einem Weilchen des gleichmüthigen und ruhigen Ge¬ spräches brachte er auch endlich das Du über die Lippen, so gleichsam im Vorbeigehen brachte er es bescheiden doch tapfer an, daß der Graf lä¬ chelte und ihn beim Kopf kriegte.
trocknete es mit frohem Sinn und einem friſchen Handtuch ſorgfaͤltig ab, und nun goſſen ſie die erſte Flaſche in den Becher und tranken denſelben zum Andenken an den todten Alten.
Beim zweiten Becher aber ſagte der Graf: »Nun wollen wir auch Bruͤderſchaft trinken und uns fortan mit Du anreden, denn wir wollen uns getreu bleiben und gute Freunde ſein!«
Heinrich wurde ganz roth und ſah tief in den Becher hinein, ohne es zu wagen, das edle An¬ erbieten ſeines Freundes anzunehmen, noch auch, es abzulehnen, da zum erſten Mal ein viel aͤlte¬ rer und ganzer Mann, deſſen Haare ſchon ergrau¬ ten, ihm ſolches anbot. Endlich aber gewann er durch den Werth, welcher durch des Mannes Ver¬ trauen und Freundſchaft in ihn gelegt wurde, einen guten Muth und er gab dem Grafen die Hand und ſah ihn an; doch erſt nach einem Weilchen des gleichmuͤthigen und ruhigen Ge¬ ſpraͤches brachte er auch endlich das Du uͤber die Lippen, ſo gleichſam im Vorbeigehen brachte er es beſcheiden doch tapfer an, daß der Graf laͤ¬ chelte und ihn beim Kopf kriegte.
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trocknete es mit frohem Sinn und einem friſchen
Handtuch ſorgfaͤltig ab, und nun goſſen ſie die
erſte Flaſche in den Becher und tranken denſelben
zum Andenken an den todten Alten.
Beim zweiten Becher aber ſagte der Graf:
»Nun wollen wir auch Bruͤderſchaft trinken und
uns fortan mit Du anreden, denn wir wollen
uns getreu bleiben und gute Freunde ſein!«
Heinrich wurde ganz roth und ſah tief in den
Becher hinein, ohne es zu wagen, das edle An¬
erbieten ſeines Freundes anzunehmen, noch auch,
es abzulehnen, da zum erſten Mal ein viel aͤlte¬
rer und ganzer Mann, deſſen Haare ſchon ergrau¬
ten, ihm ſolches anbot. Endlich aber gewann er
durch den Werth, welcher durch des Mannes Ver¬
trauen und Freundſchaft in ihn gelegt wurde,
einen guten Muth und er gab dem Grafen die
Hand und ſah ihn an; doch erſt nach einem
Weilchen des gleichmuͤthigen und ruhigen Ge¬
ſpraͤches brachte er auch endlich das Du uͤber die
Lippen, ſo gleichſam im Vorbeigehen brachte er
es beſcheiden doch tapfer an, daß der Graf laͤ¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/458>, abgerufen am 29.11.2024.
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