wieder sprechen und lachen hörte, ging er in der Verwirrung in das Pfarrhaus hinein, das ganz in der Nähe war, und traf den Pfarrer essend am Tische sitzen, über den die Nachmittagssonne friedlich wegschien. Heinrich setzte sich zu ihm und sah ihm zu. "Ich esse hier mein Vesperbröd¬ chen," sagte der Pfarrer, wollen Sie nicht mithal¬ ten?" -- "Ich danke," erwiederte Heinrich, "wenn Sie erlauben, so will ich Ihnen sonst ein wenig Gesellschaft leisten!" -- "Das sind mir junge Leute heut zu Tage," sagte der Hochwürdige, "das hat ja gar keinen ordentlichen deutschen Appetit mehr! Na, die Gedanken sind auch danach, da kann frei¬ lich nicht viel Anderes herauskommen, als Nichts und aber Nichts!" Der Pfarrer merkte nicht, wie materialistisch er sich mit dieser speiselustigen Rede selbst in's Gesicht schlug, sondern war eifrig mit der großen Schüssel beschäftigt, die vor ihm stand. Dieselbe enthielt viele Anhängsel eines frisch ge¬ schlachteten Schweines, nämlich die Ohren, die Schnauze und den Ringelschwanz, Alles soeben gekocht und dem Geistlichen lieblich in die Nase duftend. Er pries das aufgethürmte Gericht als
wieder ſprechen und lachen hoͤrte, ging er in der Verwirrung in das Pfarrhaus hinein, das ganz in der Naͤhe war, und traf den Pfarrer eſſend am Tiſche ſitzen, uͤber den die Nachmittagsſonne friedlich wegſchien. Heinrich ſetzte ſich zu ihm und ſah ihm zu. »Ich eſſe hier mein Veſperbroͤd¬ chen,« ſagte der Pfarrer, wollen Sie nicht mithal¬ ten?« — »Ich danke,« erwiederte Heinrich, »wenn Sie erlauben, ſo will ich Ihnen ſonſt ein wenig Geſellſchaft leiſten!« — »Das ſind mir junge Leute heut zu Tage,« ſagte der Hochwuͤrdige, »das hat ja gar keinen ordentlichen deutſchen Appetit mehr! Na, die Gedanken ſind auch danach, da kann frei¬ lich nicht viel Anderes herauskommen, als Nichts und aber Nichts!« Der Pfarrer merkte nicht, wie materialiſtiſch er ſich mit dieſer ſpeiſeluſtigen Rede ſelbſt in's Geſicht ſchlug, ſondern war eifrig mit der großen Schuͤſſel beſchaͤftigt, die vor ihm ſtand. Dieſelbe enthielt viele Anhaͤngſel eines friſch ge¬ ſchlachteten Schweines, naͤmlich die Ohren, die Schnauze und den Ringelſchwanz, Alles ſoeben gekocht und dem Geiſtlichen lieblich in die Naſe duftend. Er pries das aufgethuͤrmte Gericht als
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Verwirrung in das Pfarrhaus hinein, das ganz
in der Naͤhe war, und traf den Pfarrer eſſend
am Tiſche ſitzen, uͤber den die Nachmittagsſonne
friedlich wegſchien. Heinrich ſetzte ſich zu ihm
und ſah ihm zu. »Ich eſſe hier mein Veſperbroͤd¬
chen,« ſagte der Pfarrer, wollen Sie nicht mithal¬
ten?« — »Ich danke,« erwiederte Heinrich, »wenn
Sie erlauben, ſo will ich Ihnen ſonſt ein wenig
Geſellſchaft leiſten!« — »Das ſind mir junge Leute
heut zu Tage,« ſagte der Hochwuͤrdige, »das hat
ja gar keinen ordentlichen deutſchen Appetit mehr!
Na, die Gedanken ſind auch danach, da kann frei¬
lich nicht viel Anderes herauskommen, als Nichts
und aber Nichts!« Der Pfarrer merkte nicht, wie
materialiſtiſch er ſich mit dieſer ſpeiſeluſtigen Rede
ſelbſt in's Geſicht ſchlug, ſondern war eifrig mit
der großen Schuͤſſel beſchaͤftigt, die vor ihm ſtand.
Dieſelbe enthielt viele Anhaͤngſel eines friſch ge¬
ſchlachteten Schweines, naͤmlich die Ohren, die
Schnauze und den Ringelſchwanz, Alles ſoeben
gekocht und dem Geiſtlichen lieblich in die Naſe
duftend. Er pries das aufgethuͤrmte Gericht als
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/433>, abgerufen am 27.11.2024.
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