und alle Vernunft wie weggeblasen. Das Ge¬ wicht im Herzen war auch wieder da und drückte fleißig darauf los.
Diese drei Wochen glaubte Heinrich nicht er¬ leben zu können und beschloß, sich sobald als mög¬ lich fortzumachen. Er zwang sich deshalb zur Ar¬ beit, so gut es gehen wollte. Zum Glück war dieselbe vor dem Liebeswetter schon soweit gedie¬ hen, daß es nur der fortgesetzten Anstrengung we¬ niger Tage bedurfte, um zu Ende zu sein; allein wenn Heinrich unter bitteren Schmerzen eine Stunde gemalt hatte, mußte er die Pinsel wegwerfen und in den Wald hinauslaufen, um sich wieder zu ver¬ bergen; denn unter den Menschen wußte er nicht, wo er hinsehen sollte. So brauchte er dennoch volle drei Wochen, bis er fertig war, und diese schienen ihm volle drei Jahre zu dauern, während welcher er tausend Dinge und doch immer ein und dasselbe lebte und dachte. Wenn es schönes Wetter war, so machte ihn der blaue Himmel und der Sonnenschein noch tausendmal unglückli¬ cher und er sehnte sich nach Dunkelheit und Re¬ gengüssen, und traten diese ein, so hoffte er auf
und alle Vernunft wie weggeblaſen. Das Ge¬ wicht im Herzen war auch wieder da und druͤckte fleißig darauf los.
Dieſe drei Wochen glaubte Heinrich nicht er¬ leben zu koͤnnen und beſchloß, ſich ſobald als moͤg¬ lich fortzumachen. Er zwang ſich deshalb zur Ar¬ beit, ſo gut es gehen wollte. Zum Gluͤck war dieſelbe vor dem Liebeswetter ſchon ſoweit gedie¬ hen, daß es nur der fortgeſetzten Anſtrengung we¬ niger Tage bedurfte, um zu Ende zu ſein; allein wenn Heinrich unter bitteren Schmerzen eine Stunde gemalt hatte, mußte er die Pinſel wegwerfen und in den Wald hinauslaufen, um ſich wieder zu ver¬ bergen; denn unter den Menſchen wußte er nicht, wo er hinſehen ſollte. So brauchte er dennoch volle drei Wochen, bis er fertig war, und dieſe ſchienen ihm volle drei Jahre zu dauern, waͤhrend welcher er tauſend Dinge und doch immer ein und daſſelbe lebte und dachte. Wenn es ſchoͤnes Wetter war, ſo machte ihn der blaue Himmel und der Sonnenſchein noch tauſendmal ungluͤckli¬ cher und er ſehnte ſich nach Dunkelheit und Re¬ genguͤſſen, und traten dieſe ein, ſo hoffte er auf
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und alle Vernunft wie weggeblaſen. Das Ge¬
wicht im Herzen war auch wieder da und druͤckte
fleißig darauf los.
Dieſe drei Wochen glaubte Heinrich nicht er¬
leben zu koͤnnen und beſchloß, ſich ſobald als moͤg¬
lich fortzumachen. Er zwang ſich deshalb zur Ar¬
beit, ſo gut es gehen wollte. Zum Gluͤck war
dieſelbe vor dem Liebeswetter ſchon ſoweit gedie¬
hen, daß es nur der fortgeſetzten Anſtrengung we¬
niger Tage bedurfte, um zu Ende zu ſein; allein wenn
Heinrich unter bitteren Schmerzen eine Stunde
gemalt hatte, mußte er die Pinſel wegwerfen und
in den Wald hinauslaufen, um ſich wieder zu ver¬
bergen; denn unter den Menſchen wußte er nicht,
wo er hinſehen ſollte. So brauchte er dennoch
volle drei Wochen, bis er fertig war, und dieſe
ſchienen ihm volle drei Jahre zu dauern, waͤhrend
welcher er tauſend Dinge und doch immer ein
und daſſelbe lebte und dachte. Wenn es ſchoͤnes
Wetter war, ſo machte ihn der blaue Himmel
und der Sonnenſchein noch tauſendmal ungluͤckli¬
cher und er ſehnte ſich nach Dunkelheit und Re¬
genguͤſſen, und traten dieſe ein, ſo hoffte er auf
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/424>, abgerufen am 26.11.2024.
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