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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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zeigen, wie ganz anders sie sich ausnehme im
Lichte eines innigen Gottesglaubens, nahm er
energische, phantasievolle Mystiker zu Hülfe, in
welchen er weniger als Christ, denn als geist¬
reicher Liebhaber sehr belesen war. Er brachte
wiederholt dergleichen her und war sehr willkom¬
men damit, da, wenn man sich einmal über solche
Gegenstände unterhält, Alles was aus ganzem
Holze geschnitten ist, gleich wichtig erscheint, be¬
lehrt und erbaut. So werden auch stets ein recht
herzlicher glühender Mystiker und ein rabbiater
Atheist besser mit einander auskommen und grö¬
ßeres Interesse an einander haben, als etwa ein
dürrer orthodoxer Protestant und ein flacher Ra¬
tionalist, weil jene Beiden gegenseitig wohl fühlen,
daß ein höherer specifischer Werth in ihnen treibt
und durchscheint.

So hatte er des Angelus Silesius cherubini¬
schen Wandersmann in das Haus gebracht und die
kleine Gesellschaft empfand die größte Freude
über den vehementen Gottesschauer, seine leben¬
dige Sprache und poetische Gluth. Diese unbe¬
fangene Freude ärgerte aber gerade den guten

zeigen, wie ganz anders ſie ſich ausnehme im
Lichte eines innigen Gottesglaubens, nahm er
energiſche, phantaſievolle Myſtiker zu Huͤlfe, in
welchen er weniger als Chriſt, denn als geiſt¬
reicher Liebhaber ſehr beleſen war. Er brachte
wiederholt dergleichen her und war ſehr willkom¬
men damit, da, wenn man ſich einmal uͤber ſolche
Gegenſtaͤnde unterhaͤlt, Alles was aus ganzem
Holze geſchnitten iſt, gleich wichtig erſcheint, be¬
lehrt und erbaut. So werden auch ſtets ein recht
herzlicher gluͤhender Myſtiker und ein rabbiater
Atheiſt beſſer mit einander auskommen und groͤ¬
ßeres Intereſſe an einander haben, als etwa ein
duͤrrer orthodoxer Proteſtant und ein flacher Ra¬
tionaliſt, weil jene Beiden gegenſeitig wohl fuͤhlen,
daß ein hoͤherer ſpecifiſcher Werth in ihnen treibt
und durchſcheint.

So hatte er des Angelus Sileſius cherubini¬
ſchen Wandersmann in das Haus gebracht und die
kleine Geſellſchaft empfand die groͤßte Freude
uͤber den vehementen Gottesſchauer, ſeine leben¬
dige Sprache und poetiſche Gluth. Dieſe unbe¬
fangene Freude aͤrgerte aber gerade den guten

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[391/0401] zeigen, wie ganz anders ſie ſich ausnehme im Lichte eines innigen Gottesglaubens, nahm er energiſche, phantaſievolle Myſtiker zu Huͤlfe, in welchen er weniger als Chriſt, denn als geiſt¬ reicher Liebhaber ſehr beleſen war. Er brachte wiederholt dergleichen her und war ſehr willkom¬ men damit, da, wenn man ſich einmal uͤber ſolche Gegenſtaͤnde unterhaͤlt, Alles was aus ganzem Holze geſchnitten iſt, gleich wichtig erſcheint, be¬ lehrt und erbaut. So werden auch ſtets ein recht herzlicher gluͤhender Myſtiker und ein rabbiater Atheiſt beſſer mit einander auskommen und groͤ¬ ßeres Intereſſe an einander haben, als etwa ein duͤrrer orthodoxer Proteſtant und ein flacher Ra¬ tionaliſt, weil jene Beiden gegenſeitig wohl fuͤhlen, daß ein hoͤherer ſpecifiſcher Werth in ihnen treibt und durchſcheint. So hatte er des Angelus Sileſius cherubini¬ ſchen Wandersmann in das Haus gebracht und die kleine Geſellſchaft empfand die groͤßte Freude uͤber den vehementen Gottesſchauer, ſeine leben¬ dige Sprache und poetiſche Gluth. Dieſe unbe¬ fangene Freude aͤrgerte aber gerade den guten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/401>, abgerufen am 24.11.2024.