hat jeder Mensch seinen bestimmten Werth, wel¬ cher nicht um ein Quentchen verliert oder ge¬ winnt, ob er diesen Werth in oder außer sich sucht. Dies empfand Heinrich, wie der Graf ihm gesagt, mit leichtem Herzen und großem Beha¬ gen, und die sich so oft gestellte Frage, ob er an sich gut sei, glaubte er sich nun freundlich be¬ antworten zu dürfen, da er nicht die mindeste Veränderung und Bewegung an sich empfand und sich von Grund aus weder um ein Haar besser noch schlimmer vorkam, seit er das halbe Wesen und das peinliche Polemisiren mit dem Gott in seiner Brust aufgegeben.
So verging der Winter in mannigfacher aber ruhiger Bewegung. Der Pfarrer, welcher mit humoristischem Zorne den grünen Fremdling seine Fahne verlassen sah, fand sich noch öfter im Her¬ renhause ein und suchte durch einen Sprühregen von Angriffen und Witzcompositionen den Flücht¬ ling zu bedrängen und einzufangen. Vorzüglich ging er darauf aus, die Welt unter dem Ge¬ sichtspunkte seiner Zuhörer als heillos nüchtern, trivial und poesielos darzustellen, und um zu
hat jeder Menſch ſeinen beſtimmten Werth, wel¬ cher nicht um ein Quentchen verliert oder ge¬ winnt, ob er dieſen Werth in oder außer ſich ſucht. Dies empfand Heinrich, wie der Graf ihm geſagt, mit leichtem Herzen und großem Beha¬ gen, und die ſich ſo oft geſtellte Frage, ob er an ſich gut ſei, glaubte er ſich nun freundlich be¬ antworten zu duͤrfen, da er nicht die mindeſte Veraͤnderung und Bewegung an ſich empfand und ſich von Grund aus weder um ein Haar beſſer noch ſchlimmer vorkam, ſeit er das halbe Weſen und das peinliche Polemiſiren mit dem Gott in ſeiner Bruſt aufgegeben.
So verging der Winter in mannigfacher aber ruhiger Bewegung. Der Pfarrer, welcher mit humoriſtiſchem Zorne den gruͤnen Fremdling ſeine Fahne verlaſſen ſah, fand ſich noch oͤfter im Her¬ renhauſe ein und ſuchte durch einen Spruͤhregen von Angriffen und Witzcompoſitionen den Fluͤcht¬ ling zu bedraͤngen und einzufangen. Vorzuͤglich ging er darauf aus, die Welt unter dem Ge¬ ſichtspunkte ſeiner Zuhoͤrer als heillos nuͤchtern, trivial und poeſielos darzuſtellen, und um zu
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hat jeder Menſch ſeinen beſtimmten Werth, wel¬
cher nicht um ein Quentchen verliert oder ge¬
winnt, ob er dieſen Werth in oder außer ſich
ſucht. Dies empfand Heinrich, wie der Graf ihm
geſagt, mit leichtem Herzen und großem Beha¬
gen, und die ſich ſo oft geſtellte Frage, ob er an
ſich gut ſei, glaubte er ſich nun freundlich be¬
antworten zu duͤrfen, da er nicht die mindeſte
Veraͤnderung und Bewegung an ſich empfand
und ſich von Grund aus weder um ein Haar
beſſer noch ſchlimmer vorkam, ſeit er das halbe
Weſen und das peinliche Polemiſiren mit dem
Gott in ſeiner Bruſt aufgegeben.
So verging der Winter in mannigfacher aber
ruhiger Bewegung. Der Pfarrer, welcher mit
humoriſtiſchem Zorne den gruͤnen Fremdling ſeine
Fahne verlaſſen ſah, fand ſich noch oͤfter im Her¬
renhauſe ein und ſuchte durch einen Spruͤhregen
von Angriffen und Witzcompoſitionen den Fluͤcht¬
ling zu bedraͤngen und einzufangen. Vorzuͤglich
ging er darauf aus, die Welt unter dem Ge¬
ſichtspunkte ſeiner Zuhoͤrer als heillos nuͤchtern,
trivial und poeſielos darzuſtellen, und um zu
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/400>, abgerufen am 28.11.2024.
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