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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Verhalten der Menschen zu einander. Es han¬
delt sich heut zu Tage nicht mehr um Atheismus
und Freigeisterei, um Frivolität, Zweifelsucht
und Weltschmerz und welche Spitznamen man
alles erfunden hat für schwächliche und kränkliche
Dinge! Es handelt sich um das Recht, ruhig zu
bleiben im Gemüth, was auch die Ergebnisse
des Nachdenkens und des Forschens sein mögen,
und unangetastet und ungekränkt zu bleiben, was
man auch mit wahrem und ehrlichem Sinne glau¬
ben mag. Uebrigens geht der Mensch in die
Schule alle Tage und keiner vermag mit Sicher¬
heit vorauszusagen, was er am Abend seines Le¬
bens glauben werde! Dafür haben wir die unbe¬
dingte Freiheit des Gewissens nach allen Seiten!

"Aber dahin muß die Welt gelangen, daß sie
mit eben der schuldlosen guten Ruhe, mit wel¬
cher sie ein neues Naturgesetz, einen neuen Stern
am Himmel entdeckt, auch die Vorgänge und
Ergebnisse in der geistigen Welt hinnimmt und
betrachtet, auf Alles gefaßt und stets sich gleich
als eine Menschheit, die da in der Sonne steht
und sagt: hier stehe ich!"

Verhalten der Menſchen zu einander. Es han¬
delt ſich heut zu Tage nicht mehr um Atheismus
und Freigeiſterei, um Frivolitaͤt, Zweifelſucht
und Weltſchmerz und welche Spitznamen man
alles erfunden hat fuͤr ſchwaͤchliche und kraͤnkliche
Dinge! Es handelt ſich um das Recht, ruhig zu
bleiben im Gemuͤth, was auch die Ergebniſſe
des Nachdenkens und des Forſchens ſein moͤgen,
und unangetaſtet und ungekraͤnkt zu bleiben, was
man auch mit wahrem und ehrlichem Sinne glau¬
ben mag. Uebrigens geht der Menſch in die
Schule alle Tage und keiner vermag mit Sicher¬
heit vorauszuſagen, was er am Abend ſeines Le¬
bens glauben werde! Dafuͤr haben wir die unbe¬
dingte Freiheit des Gewiſſens nach allen Seiten!

»Aber dahin muß die Welt gelangen, daß ſie
mit eben der ſchuldloſen guten Ruhe, mit wel¬
cher ſie ein neues Naturgeſetz, einen neuen Stern
am Himmel entdeckt, auch die Vorgaͤnge und
Ergebniſſe in der geiſtigen Welt hinnimmt und
betrachtet, auf Alles gefaßt und ſtets ſich gleich
als eine Menſchheit, die da in der Sonne ſteht
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[388/0398] Verhalten der Menſchen zu einander. Es han¬ delt ſich heut zu Tage nicht mehr um Atheismus und Freigeiſterei, um Frivolitaͤt, Zweifelſucht und Weltſchmerz und welche Spitznamen man alles erfunden hat fuͤr ſchwaͤchliche und kraͤnkliche Dinge! Es handelt ſich um das Recht, ruhig zu bleiben im Gemuͤth, was auch die Ergebniſſe des Nachdenkens und des Forſchens ſein moͤgen, und unangetaſtet und ungekraͤnkt zu bleiben, was man auch mit wahrem und ehrlichem Sinne glau¬ ben mag. Uebrigens geht der Menſch in die Schule alle Tage und keiner vermag mit Sicher¬ heit vorauszuſagen, was er am Abend ſeines Le¬ bens glauben werde! Dafuͤr haben wir die unbe¬ dingte Freiheit des Gewiſſens nach allen Seiten! »Aber dahin muß die Welt gelangen, daß ſie mit eben der ſchuldloſen guten Ruhe, mit wel¬ cher ſie ein neues Naturgeſetz, einen neuen Stern am Himmel entdeckt, auch die Vorgaͤnge und Ergebniſſe in der geiſtigen Welt hinnimmt und betrachtet, auf Alles gefaßt und ſtets ſich gleich als eine Menſchheit, die da in der Sonne ſteht und ſagt: hier ſtehe ich!«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/398>, abgerufen am 28.04.2024.