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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Unhöflichkeit, wenn man nur etwas Rechtes ist!
Aber von mir würde es jetzt unhöflich und grob
sein, weil ich ja nichts, ach so gar nichts bin
und erst Alles werden muß!" Zum ersten Mal
bereute er so recht die vergangenen Jahre und
die scheinbar nutzlose Jugend, die ihn jetzt von
dieser Erscheinung überrascht werden ließ, ohne
daß er bereit und werth war, auch nur im Ge¬
heimen eine herzhafte Leidenschaft aufkommen zu
lassen und zu nähren. Er fuhr seufzend mit der
Hand durch das Haar und entdeckte, daß er kei¬
nen Hut auf dem Kopfe hatte. "Ein Kerl!"
rief er, "der nicht einmal einen guten Hut, das
Zeichen der Freien, auf dem Kopfe trägt! Da
lauf' ich barhäuptig wie ein Mönch in fremdem
Besitzthum umher! Ich muß einmal nach mei¬
nem Hute sehen!"

Er lief in das Gartenhaus. Das freund¬
liche Apollonchen allein war da und holte ihm
auf sein Begehren seinen Hut hervor: aber sie
hielt denselben mit einem schalkhaften Lächeln
dar, so weit dies ihrer Gutmüthigkeit immer
möglich war: denn der Hut sah schändlich aus

Unhoͤflichkeit, wenn man nur etwas Rechtes iſt!
Aber von mir wuͤrde es jetzt unhoͤflich und grob
ſein, weil ich ja nichts, ach ſo gar nichts bin
und erſt Alles werden muß!« Zum erſten Mal
bereute er ſo recht die vergangenen Jahre und
die ſcheinbar nutzloſe Jugend, die ihn jetzt von
dieſer Erſcheinung uͤberraſcht werden ließ, ohne
daß er bereit und werth war, auch nur im Ge¬
heimen eine herzhafte Leidenſchaft aufkommen zu
laſſen und zu naͤhren. Er fuhr ſeufzend mit der
Hand durch das Haar und entdeckte, daß er kei¬
nen Hut auf dem Kopfe hatte. »Ein Kerl!«
rief er, »der nicht einmal einen guten Hut, das
Zeichen der Freien, auf dem Kopfe traͤgt! Da
lauf' ich barhaͤuptig wie ein Moͤnch in fremdem
Beſitzthum umher! Ich muß einmal nach mei¬
nem Hute ſehen!«

Er lief in das Gartenhaus. Das freund¬
liche Apollonchen allein war da und holte ihm
auf ſein Begehren ſeinen Hut hervor: aber ſie
hielt denſelben mit einem ſchalkhaften Laͤcheln
dar, ſo weit dies ihrer Gutmuͤthigkeit immer
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[358/0368] Unhoͤflichkeit, wenn man nur etwas Rechtes iſt! Aber von mir wuͤrde es jetzt unhoͤflich und grob ſein, weil ich ja nichts, ach ſo gar nichts bin und erſt Alles werden muß!« Zum erſten Mal bereute er ſo recht die vergangenen Jahre und die ſcheinbar nutzloſe Jugend, die ihn jetzt von dieſer Erſcheinung uͤberraſcht werden ließ, ohne daß er bereit und werth war, auch nur im Ge¬ heimen eine herzhafte Leidenſchaft aufkommen zu laſſen und zu naͤhren. Er fuhr ſeufzend mit der Hand durch das Haar und entdeckte, daß er kei¬ nen Hut auf dem Kopfe hatte. »Ein Kerl!« rief er, »der nicht einmal einen guten Hut, das Zeichen der Freien, auf dem Kopfe traͤgt! Da lauf' ich barhaͤuptig wie ein Moͤnch in fremdem Beſitzthum umher! Ich muß einmal nach mei¬ nem Hute ſehen!« Er lief in das Gartenhaus. Das freund¬ liche Apollonchen allein war da und holte ihm auf ſein Begehren ſeinen Hut hervor: aber ſie hielt denſelben mit einem ſchalkhaften Laͤcheln dar, ſo weit dies ihrer Gutmuͤthigkeit immer moͤglich war: denn der Hut ſah ſchaͤndlich aus

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/368>, abgerufen am 28.04.2024.