hilft zu sein, was er seiner Natur nach sein kann. Wie er nun das verhüllte Buch in Gedanken durchblätterte, sah er jene Stelle, wo er in den frühesten Tagen der Kindheit seine kleinen Mit¬ schüler in's Unglück hinein gelogen und eine ganze Malefizgeschichte über sie aus dem Stegreif erson¬ nen hatte, und damit tauchte die weitere Frage in ihm auf, ob er eigentlich von Grund aus eine Neigung zum Wahren oder zu dessen Gegentheil habe: denn ohne die Liebe zur Wahrheit und Auf¬ richtigkeit ist die Eitelkeit in allen Fällen ein schädliches Laster. Da er aber seit nun bald zwanzig Jahren nicht die mindeste Lust zu solcher Teufelei mehr verspürt und sich auch gestehen konnte, aufrichtig um das Wahre bekümmert zu sein, so beruhigte er sich über diesen Punkt und suchte sich nur jene so ausgeprägte Kinderunthat auf andere Weise zu erklären.
Und da führte er sich dann den seltsamen Vorgang auf die angeborne Lust und Neigung zurück, im lebendigen Menschenverkehr zu wirken und zu hantiren und seinerseits dazu beizutragen, daß alle Dinge, an denen er betheiligt, einen or¬
lV. 19
hilft zu ſein, was er ſeiner Natur nach ſein kann. Wie er nun das verhuͤllte Buch in Gedanken durchblaͤtterte, ſah er jene Stelle, wo er in den fruͤheſten Tagen der Kindheit ſeine kleinen Mit¬ ſchuͤler in's Ungluͤck hinein gelogen und eine ganze Malefizgeſchichte uͤber ſie aus dem Stegreif erſon¬ nen hatte, und damit tauchte die weitere Frage in ihm auf, ob er eigentlich von Grund aus eine Neigung zum Wahren oder zu deſſen Gegentheil habe: denn ohne die Liebe zur Wahrheit und Auf¬ richtigkeit iſt die Eitelkeit in allen Faͤllen ein ſchaͤdliches Laſter. Da er aber ſeit nun bald zwanzig Jahren nicht die mindeſte Luſt zu ſolcher Teufelei mehr verſpuͤrt und ſich auch geſtehen konnte, aufrichtig um das Wahre bekuͤmmert zu ſein, ſo beruhigte er ſich uͤber dieſen Punkt und ſuchte ſich nur jene ſo ausgepraͤgte Kinderunthat auf andere Weiſe zu erklaͤren.
Und da fuͤhrte er ſich dann den ſeltſamen Vorgang auf die angeborne Luſt und Neigung zuruͤck, im lebendigen Menſchenverkehr zu wirken und zu hantiren und ſeinerſeits dazu beizutragen, daß alle Dinge, an denen er betheiligt, einen or¬
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hilft zu ſein, was er ſeiner Natur nach ſein kann.
Wie er nun das verhuͤllte Buch in Gedanken
durchblaͤtterte, ſah er jene Stelle, wo er in den
fruͤheſten Tagen der Kindheit ſeine kleinen Mit¬
ſchuͤler in's Ungluͤck hinein gelogen und eine ganze
Malefizgeſchichte uͤber ſie aus dem Stegreif erſon¬
nen hatte, und damit tauchte die weitere Frage
in ihm auf, ob er eigentlich von Grund aus eine
Neigung zum Wahren oder zu deſſen Gegentheil
habe: denn ohne die Liebe zur Wahrheit und Auf¬
richtigkeit iſt die Eitelkeit in allen Faͤllen ein
ſchaͤdliches Laſter. Da er aber ſeit nun bald
zwanzig Jahren nicht die mindeſte Luſt zu ſolcher
Teufelei mehr verſpuͤrt und ſich auch geſtehen
konnte, aufrichtig um das Wahre bekuͤmmert zu
ſein, ſo beruhigte er ſich uͤber dieſen Punkt und
ſuchte ſich nur jene ſo ausgepraͤgte Kinderunthat
auf andere Weiſe zu erklaͤren.
Und da fuͤhrte er ſich dann den ſeltſamen
Vorgang auf die angeborne Luſt und Neigung
zuruͤck, im lebendigen Menſchenverkehr zu wirken
und zu hantiren und ſeinerſeits dazu beizutragen,
daß alle Dinge, an denen er betheiligt, einen or¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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