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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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den dicken Bauch und die blanken Knöpfe des
Dienstrockes betrachtete, sah er wohl, daß das
Fundament alles dieses anmaßlichen behaglich
brutalen Gebausches eine unbegränzte Eitelkeit sei,
die sich, da sie einer halben Bestie angehörte,
nicht anders als in solcher Weise äußern konnte:
"Dieser Kerl, welcher vielleicht der beste Vater
und Gatte war und ein ganz guter Geselle unter
seines Gleichen, insofern man ihn nur nicht im
Prahlen und Ausbreiten seiner Art behinderte,
dieser Kerl gefiel sich ausnehmend wohl und hielt
sich für einen Kerl, nach Maßgabe seiner Dumm¬
heit, als er die alte Frau am Ohr zerrte. Nicht
daß er etwa in der Kirche oder im Beichtstuhl
zuweilen nicht einsähe, daß er unchristlich lebe
und handle; der Rausch der Eitelkeit und Selbst¬
gefälligkeit ist es, welcher ihn alle Augenblicke
fortreißt und seinem Götzen fröhnen läßt. Glei¬
chermaßen sieht er das Laster an seinem nächsten
Vorgesetzten, dieser an dem seinigen und so fort
stufenweise, indem Einer es am Anderen gar wohl
bemerkt, selbst aber nichts Eifriges zu thun hat,
als der eigenen Unart voll Wuth den Zügel schie¬

den dicken Bauch und die blanken Knoͤpfe des
Dienſtrockes betrachtete, ſah er wohl, daß das
Fundament alles dieſes anmaßlichen behaglich
brutalen Gebauſches eine unbegraͤnzte Eitelkeit ſei,
die ſich, da ſie einer halben Beſtie angehoͤrte,
nicht anders als in ſolcher Weiſe aͤußern konnte:
»Dieſer Kerl, welcher vielleicht der beſte Vater
und Gatte war und ein ganz guter Geſelle unter
ſeines Gleichen, inſofern man ihn nur nicht im
Prahlen und Ausbreiten ſeiner Art behinderte,
dieſer Kerl gefiel ſich ausnehmend wohl und hielt
ſich fuͤr einen Kerl, nach Maßgabe ſeiner Dumm¬
heit, als er die alte Frau am Ohr zerrte. Nicht
daß er etwa in der Kirche oder im Beichtſtuhl
zuweilen nicht einſaͤhe, daß er unchriſtlich lebe
und handle; der Rauſch der Eitelkeit und Selbſt¬
gefaͤlligkeit iſt es, welcher ihn alle Augenblicke
fortreißt und ſeinem Goͤtzen froͤhnen laͤßt. Glei¬
chermaßen ſieht er das Laſter an ſeinem naͤchſten
Vorgeſetzten, dieſer an dem ſeinigen und ſo fort
ſtufenweiſe, indem Einer es am Anderen gar wohl
bemerkt, ſelbſt aber nichts Eifriges zu thun hat,
als der eigenen Unart voll Wuth den Zuͤgel ſchie¬

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[284/0294] den dicken Bauch und die blanken Knoͤpfe des Dienſtrockes betrachtete, ſah er wohl, daß das Fundament alles dieſes anmaßlichen behaglich brutalen Gebauſches eine unbegraͤnzte Eitelkeit ſei, die ſich, da ſie einer halben Beſtie angehoͤrte, nicht anders als in ſolcher Weiſe aͤußern konnte: »Dieſer Kerl, welcher vielleicht der beſte Vater und Gatte war und ein ganz guter Geſelle unter ſeines Gleichen, inſofern man ihn nur nicht im Prahlen und Ausbreiten ſeiner Art behinderte, dieſer Kerl gefiel ſich ausnehmend wohl und hielt ſich fuͤr einen Kerl, nach Maßgabe ſeiner Dumm¬ heit, als er die alte Frau am Ohr zerrte. Nicht daß er etwa in der Kirche oder im Beichtſtuhl zuweilen nicht einſaͤhe, daß er unchriſtlich lebe und handle; der Rauſch der Eitelkeit und Selbſt¬ gefaͤlligkeit iſt es, welcher ihn alle Augenblicke fortreißt und ſeinem Goͤtzen froͤhnen laͤßt. Glei¬ chermaßen ſieht er das Laſter an ſeinem naͤchſten Vorgeſetzten, dieſer an dem ſeinigen und ſo fort ſtufenweiſe, indem Einer es am Anderen gar wohl bemerkt, ſelbſt aber nichts Eifriges zu thun hat, als der eigenen Unart voll Wuth den Zuͤgel ſchie¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/294>, abgerufen am 25.11.2024.