plötzlich ein lauter und beredter Tonangeber ge¬ worden war. Auch jetzt entwickelte er unver¬ sehens eine große Beredtsamkeit, ward, was er sich früher auch einmal sehnlich gewünscht hatte, ein meisterlicher Zecher, welcher die deutsche Zech¬ weise mit so viel Phantasie und Geschicklichkeit betrieb, daß die so verbrachten Stunden und Nächte eher ein lehrreicher Gewinn, eine Art peri¬ patetischer Weisheit schienen, als ein Verlust. Das was man lernte und sich mittheilend kehrte und wendete, gerieth durch das aufgeregte Blut erst recht in Bewegung und durch die gesellschaft¬ lichen Gegensätze, durch die hundert bald komi¬ schen, bald ernsten Conflicte in lebendigen Fluß, und das scheinbar rein Wissenschaftliche und Farb¬ lose bekam durch das gesellschaftliche und mora¬ lische Verhalten der Leute bestimmte Färbung und Anwendung oder diente diesem zu sofortiger Er¬ klärung. Erst war die gewohnte Art herrschend gewesen, bei hervortretendem Widerspruche sich unwiderruflich auf seiner Seite zu halten, die Ehre in der Hartnäckigkeit zu suchen, mit welcher man um jeden Preis eine Meinung behaupten zu
IV. 10
ploͤtzlich ein lauter und beredter Tonangeber ge¬ worden war. Auch jetzt entwickelte er unver¬ ſehens eine große Beredtſamkeit, ward, was er ſich fruͤher auch einmal ſehnlich gewuͤnſcht hatte, ein meiſterlicher Zecher, welcher die deutſche Zech¬ weiſe mit ſo viel Phantaſie und Geſchicklichkeit betrieb, daß die ſo verbrachten Stunden und Naͤchte eher ein lehrreicher Gewinn, eine Art peri¬ patetiſcher Weisheit ſchienen, als ein Verluſt. Das was man lernte und ſich mittheilend kehrte und wendete, gerieth durch das aufgeregte Blut erſt recht in Bewegung und durch die geſellſchaft¬ lichen Gegenſaͤtze, durch die hundert bald komi¬ ſchen, bald ernſten Conflicte in lebendigen Fluß, und das ſcheinbar rein Wiſſenſchaftliche und Farb¬ loſe bekam durch das geſellſchaftliche und mora¬ liſche Verhalten der Leute beſtimmte Faͤrbung und Anwendung oder diente dieſem zu ſofortiger Er¬ klaͤrung. Erſt war die gewohnte Art herrſchend geweſen, bei hervortretendem Widerſpruche ſich unwiderruflich auf ſeiner Seite zu halten, die Ehre in der Hartnaͤckigkeit zu ſuchen, mit welcher man um jeden Preis eine Meinung behaupten zu
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ploͤtzlich ein lauter und beredter Tonangeber ge¬
worden war. Auch jetzt entwickelte er unver¬
ſehens eine große Beredtſamkeit, ward, was er
ſich fruͤher auch einmal ſehnlich gewuͤnſcht hatte,
ein meiſterlicher Zecher, welcher die deutſche Zech¬
weiſe mit ſo viel Phantaſie und Geſchicklichkeit
betrieb, daß die ſo verbrachten Stunden und
Naͤchte eher ein lehrreicher Gewinn, eine Art peri¬
patetiſcher Weisheit ſchienen, als ein Verluſt.
Das was man lernte und ſich mittheilend kehrte
und wendete, gerieth durch das aufgeregte Blut
erſt recht in Bewegung und durch die geſellſchaft¬
lichen Gegenſaͤtze, durch die hundert bald komi¬
ſchen, bald ernſten Conflicte in lebendigen Fluß,
und das ſcheinbar rein Wiſſenſchaftliche und Farb¬
loſe bekam durch das geſellſchaftliche und mora¬
liſche Verhalten der Leute beſtimmte Faͤrbung und
Anwendung oder diente dieſem zu ſofortiger Er¬
klaͤrung. Erſt war die gewohnte Art herrſchend
geweſen, bei hervortretendem Widerſpruche ſich
unwiderruflich auf ſeiner Seite zu halten, die
Ehre in der Hartnaͤckigkeit zu ſuchen, mit welcher
man um jeden Preis eine Meinung behaupten zu
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/155>, abgerufen am 05.12.2024.
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