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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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und gesuchten Composition wegen keine Wirkung
thun, zu keiner Gesammtwahrheit werden könn¬
ten und um meine hervorstechende Zeichnung hin¬
gen, wie bunte Flitter um ein Gerippe, ja daß so¬
gar im Einzelnen keine frische Wahrheit möglich
sei, auch bei dem besten Willen nicht, weil vor
der überwiegenden Erfindung, vor dem anmaßen¬
den Spiritualismus (wie er sich ausdrückte) die
Naturfrische sich sogleich sozusagen aus der Pin¬
selspitze in den Pinselstiel spröde zurückziehe.

"Es giebt allerdings, "sagte Römer," eine
Richtung, deren Hauptgewicht auf der Erfindung,
auf Kosten der unmittelbaren Wahrheit, beruht.
Solche Bilder sehen aber eher wie geschriebene
Gedichte, als wie wirkliche Bilder aus, wie es
ja auch Gedichte giebt, welche mehr den Eindruck
einer Malerei machen möchten, als eines geistig
tönenden Wortes. Wenn Sie in Rom wären
und die Arbeiten des alten Koch oder Reinhard's
sähen, so würden Sie, Ihrer deutlichen Neigung
nach, sich entzückt den alten Käuzen anschließen;
es ist aber gut, daß Sie nicht dort sind, denn
dies ist eine gefährliche Sache für einen jungen

und geſuchten Compoſition wegen keine Wirkung
thun, zu keiner Geſammtwahrheit werden koͤnn¬
ten und um meine hervorſtechende Zeichnung hin¬
gen, wie bunte Flitter um ein Gerippe, ja daß ſo¬
gar im Einzelnen keine friſche Wahrheit moͤglich
ſei, auch bei dem beſten Willen nicht, weil vor
der uͤberwiegenden Erfindung, vor dem anmaßen¬
den Spiritualismus (wie er ſich ausdruͤckte) die
Naturfriſche ſich ſogleich ſozuſagen aus der Pin¬
ſelſpitze in den Pinſelſtiel ſproͤde zuruͤckziehe.

»Es giebt allerdings, »ſagte Roͤmer,« eine
Richtung, deren Hauptgewicht auf der Erfindung,
auf Koſten der unmittelbaren Wahrheit, beruht.
Solche Bilder ſehen aber eher wie geſchriebene
Gedichte, als wie wirkliche Bilder aus, wie es
ja auch Gedichte giebt, welche mehr den Eindruck
einer Malerei machen moͤchten, als eines geiſtig
toͤnenden Wortes. Wenn Sie in Rom waͤren
und die Arbeiten des alten Koch oder Reinhard's
ſaͤhen, ſo wuͤrden Sie, Ihrer deutlichen Neigung
nach, ſich entzuͤckt den alten Kaͤuzen anſchließen;
es iſt aber gut, daß Sie nicht dort ſind, denn
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[75/0085] und geſuchten Compoſition wegen keine Wirkung thun, zu keiner Geſammtwahrheit werden koͤnn¬ ten und um meine hervorſtechende Zeichnung hin¬ gen, wie bunte Flitter um ein Gerippe, ja daß ſo¬ gar im Einzelnen keine friſche Wahrheit moͤglich ſei, auch bei dem beſten Willen nicht, weil vor der uͤberwiegenden Erfindung, vor dem anmaßen¬ den Spiritualismus (wie er ſich ausdruͤckte) die Naturfriſche ſich ſogleich ſozuſagen aus der Pin¬ ſelſpitze in den Pinſelſtiel ſproͤde zuruͤckziehe. »Es giebt allerdings, »ſagte Roͤmer,« eine Richtung, deren Hauptgewicht auf der Erfindung, auf Koſten der unmittelbaren Wahrheit, beruht. Solche Bilder ſehen aber eher wie geſchriebene Gedichte, als wie wirkliche Bilder aus, wie es ja auch Gedichte giebt, welche mehr den Eindruck einer Malerei machen moͤchten, als eines geiſtig toͤnenden Wortes. Wenn Sie in Rom waͤren und die Arbeiten des alten Koch oder Reinhard's ſaͤhen, ſo wuͤrden Sie, Ihrer deutlichen Neigung nach, ſich entzuͤckt den alten Kaͤuzen anſchließen; es iſt aber gut, daß Sie nicht dort ſind, denn dies iſt eine gefaͤhrliche Sache fuͤr einen jungen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/85>, abgerufen am 05.05.2024.