Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

sonders im Winter sehr angenehm, wenn die
Schneeflocken vor dem Fenster tanzten.

Allein das Vergnügen wurde bald schwieriger,
als umfang- und inhaltsreichere Sachen unter¬
nommen wurden, und, durch diese Thätigkeit her¬
vorgerufen, trotz Göthe, Natur und gutem Lehrer,
meine Erfindungslust wieder auftauchte und über¬
wucherte. Das gewichtige Wort Componiren
summte mir mit prahlerischem Klang in den
Ohren und ich ließ, als ich nun förmliche Skizzen
entwarf, die zur Ausführung bestimmt waren,
meinem Hange den Zügel schießen. Ueberall
suchte ich poetische Winkel und Plätzchen, geist¬
reiche Beziehungen und Bedeutungen anzubrin¬
gen, welche mit der erforderlichen Ruhe und Ein¬
fachheit in Widerspruch geriethen. Römer ließ
mich eine solche Skizze unbeschnitten ausführen
und das Bild nach allen Erfahrungen des Na¬
turstudiums und der Technik fertig machen, und
als das Machwerk mir selbst nicht behagen wollte,
ohne daß ich wußte warum, zeigte er mir trium¬
phirend, daß die technischen Mittel und die Na¬
turwahrheiten im Einzelnen der anspruchsvollen

ſonders im Winter ſehr angenehm, wenn die
Schneeflocken vor dem Fenſter tanzten.

Allein das Vergnuͤgen wurde bald ſchwieriger,
als umfang- und inhaltsreichere Sachen unter¬
nommen wurden, und, durch dieſe Thaͤtigkeit her¬
vorgerufen, trotz Goͤthe, Natur und gutem Lehrer,
meine Erfindungsluſt wieder auftauchte und uͤber¬
wucherte. Das gewichtige Wort Componiren
ſummte mir mit prahleriſchem Klang in den
Ohren und ich ließ, als ich nun foͤrmliche Skizzen
entwarf, die zur Ausfuͤhrung beſtimmt waren,
meinem Hange den Zuͤgel ſchießen. Ueberall
ſuchte ich poetiſche Winkel und Plaͤtzchen, geiſt¬
reiche Beziehungen und Bedeutungen anzubrin¬
gen, welche mit der erforderlichen Ruhe und Ein¬
fachheit in Widerſpruch geriethen. Roͤmer ließ
mich eine ſolche Skizze unbeſchnitten ausfuͤhren
und das Bild nach allen Erfahrungen des Na¬
turſtudiums und der Technik fertig machen, und
als das Machwerk mir ſelbſt nicht behagen wollte,
ohne daß ich wußte warum, zeigte er mir trium¬
phirend, daß die techniſchen Mittel und die Na¬
turwahrheiten im Einzelnen der anſpruchsvollen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="74"/>
&#x017F;onders im Winter &#x017F;ehr angenehm, wenn die<lb/>
Schneeflocken vor dem Fen&#x017F;ter tanzten.</p><lb/>
        <p>Allein das Vergnu&#x0364;gen wurde bald &#x017F;chwieriger,<lb/>
als umfang- und inhaltsreichere Sachen unter¬<lb/>
nommen wurden, und, durch die&#x017F;e Tha&#x0364;tigkeit her¬<lb/>
vorgerufen, trotz Go&#x0364;the, Natur und gutem Lehrer,<lb/>
meine Erfindungslu&#x017F;t wieder auftauchte und u&#x0364;ber¬<lb/>
wucherte. Das gewichtige Wort Componiren<lb/>
&#x017F;ummte mir mit prahleri&#x017F;chem Klang in den<lb/>
Ohren und ich ließ, als ich nun fo&#x0364;rmliche Skizzen<lb/>
entwarf, die zur Ausfu&#x0364;hrung be&#x017F;timmt waren,<lb/>
meinem Hange den Zu&#x0364;gel &#x017F;chießen. Ueberall<lb/>
&#x017F;uchte ich poeti&#x017F;che Winkel und Pla&#x0364;tzchen, gei&#x017F;<lb/>
reiche Beziehungen und Bedeutungen anzubrin¬<lb/>
gen, welche mit der erforderlichen Ruhe und Ein¬<lb/>
fachheit in Wider&#x017F;pruch geriethen. Ro&#x0364;mer ließ<lb/>
mich eine &#x017F;olche Skizze unbe&#x017F;chnitten ausfu&#x0364;hren<lb/>
und das Bild nach allen Erfahrungen des Na¬<lb/>
tur&#x017F;tudiums und der Technik fertig machen, und<lb/>
als das Machwerk mir &#x017F;elb&#x017F;t nicht behagen wollte,<lb/>
ohne daß ich wußte warum, zeigte er mir trium¬<lb/>
phirend, daß die techni&#x017F;chen Mittel und die Na¬<lb/>
turwahrheiten im Einzelnen der an&#x017F;pruchsvollen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0084] ſonders im Winter ſehr angenehm, wenn die Schneeflocken vor dem Fenſter tanzten. Allein das Vergnuͤgen wurde bald ſchwieriger, als umfang- und inhaltsreichere Sachen unter¬ nommen wurden, und, durch dieſe Thaͤtigkeit her¬ vorgerufen, trotz Goͤthe, Natur und gutem Lehrer, meine Erfindungsluſt wieder auftauchte und uͤber¬ wucherte. Das gewichtige Wort Componiren ſummte mir mit prahleriſchem Klang in den Ohren und ich ließ, als ich nun foͤrmliche Skizzen entwarf, die zur Ausfuͤhrung beſtimmt waren, meinem Hange den Zuͤgel ſchießen. Ueberall ſuchte ich poetiſche Winkel und Plaͤtzchen, geiſt¬ reiche Beziehungen und Bedeutungen anzubrin¬ gen, welche mit der erforderlichen Ruhe und Ein¬ fachheit in Widerſpruch geriethen. Roͤmer ließ mich eine ſolche Skizze unbeſchnitten ausfuͤhren und das Bild nach allen Erfahrungen des Na¬ turſtudiums und der Technik fertig machen, und als das Machwerk mir ſelbſt nicht behagen wollte, ohne daß ich wußte warum, zeigte er mir trium¬ phirend, daß die techniſchen Mittel und die Na¬ turwahrheiten im Einzelnen der anſpruchsvollen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/84
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/84>, abgerufen am 05.05.2024.