klug und durchdringend an, daß mein Blick in die Höhe gezogen und auf den ihrigen gerichtet wurde.
"Das wäre allerdings noch gescheidter, als wie ich es meinte, sagte sie endlich, "wenn es Dir nur etwas helfen würde! Doch weil un¬ ser armes Schätzchen krank ist, so will ich billig sein und unsere Uebereinkunft abändern. Der Ne¬ bel wird sich wenigstens zwei Wochen lang täg¬ lich mehrere Stunden auf dieselbe Weise zeigen. Wenn Du jeden Tag während desselben zu mir kommst, so will ich Dich für die Nacht Deiner Pflicht entbinden und Dir zugleich versprechen, Dich nie zu liebkosen und Dich selbst zurecht zu weisen, wenn du es thun wolltest; nur mußt Du mir jedes Mal auf ein und dieselbe Frage ein einziges Wörtchen antworten, ohne zu lügen!" "Welche Frage?" sagte ich. "Das wirst Du schon sehen!" erwiederte sie; "komm', ich habe schöne Aepfel!"
Sie ging mir voran zu einem Baume, dessen Aeste und Blätter edler gebaut schienen, als die der übrigen, stieg auf einer Leiter einige Sprossen
klug und durchdringend an, daß mein Blick in die Hoͤhe gezogen und auf den ihrigen gerichtet wurde.
»Das waͤre allerdings noch geſcheidter, als wie ich es meinte, ſagte ſie endlich, »wenn es Dir nur etwas helfen wuͤrde! Doch weil un¬ ſer armes Schaͤtzchen krank iſt, ſo will ich billig ſein und unſere Uebereinkunft abaͤndern. Der Ne¬ bel wird ſich wenigſtens zwei Wochen lang taͤg¬ lich mehrere Stunden auf dieſelbe Weiſe zeigen. Wenn Du jeden Tag waͤhrend deſſelben zu mir kommſt, ſo will ich Dich fuͤr die Nacht Deiner Pflicht entbinden und Dir zugleich verſprechen, Dich nie zu liebkoſen und Dich ſelbſt zurecht zu weiſen, wenn du es thun wollteſt; nur mußt Du mir jedes Mal auf ein und dieſelbe Frage ein einziges Woͤrtchen antworten, ohne zu luͤgen!« »Welche Frage?« ſagte ich. »Das wirſt Du ſchon ſehen!« erwiederte ſie; »komm', ich habe ſchoͤne Aepfel!«
Sie ging mir voran zu einem Baume, deſſen Aeſte und Blaͤtter edler gebaut ſchienen, als die der uͤbrigen, ſtieg auf einer Leiter einige Sproſſen
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klug und durchdringend an, daß mein Blick in
die Hoͤhe gezogen und auf den ihrigen gerichtet
wurde.
»Das waͤre allerdings noch geſcheidter, als
wie ich es meinte, ſagte ſie endlich, »wenn es
Dir nur etwas helfen wuͤrde! Doch weil un¬
ſer armes Schaͤtzchen krank iſt, ſo will ich billig
ſein und unſere Uebereinkunft abaͤndern. Der Ne¬
bel wird ſich wenigſtens zwei Wochen lang taͤg¬
lich mehrere Stunden auf dieſelbe Weiſe zeigen.
Wenn Du jeden Tag waͤhrend deſſelben zu mir
kommſt, ſo will ich Dich fuͤr die Nacht Deiner
Pflicht entbinden und Dir zugleich verſprechen,
Dich nie zu liebkoſen und Dich ſelbſt zurecht zu
weiſen, wenn du es thun wollteſt; nur mußt Du
mir jedes Mal auf ein und dieſelbe Frage ein
einziges Woͤrtchen antworten, ohne zu luͤgen!«
»Welche Frage?« ſagte ich. »Das wirſt Du ſchon
ſehen!« erwiederte ſie; »komm', ich habe ſchoͤne
Aepfel!«
Sie ging mir voran zu einem Baume, deſſen
Aeſte und Blaͤtter edler gebaut ſchienen, als die
der uͤbrigen, ſtieg auf einer Leiter einige Sproſſen
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/72>, abgerufen am 27.11.2024.
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