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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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nauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch
sicher und elegant hingezogen werden; die Schlag¬
schatten auf diesem weißgoldenen edlen Gestein
waren rein blau und wenn ich den Blick fort¬
während auf dies Blau gerichtet hatte, so glaubte
ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu
sehen. Jede Lücke im Gebälke, durch welche der
Himmel schaute, jede Scharte an den Kane¬
lirungen war mir heilig und ich hielt genau
ihre kleinsten Eigenthümlichkeiten fest.

Im Nachlasse meines Vaters fand sich ein
Werk über Architektur, in welchem die Geschichte
und Erklärung der alten Baustyle nebst guten
Abbildungen mit allem Detail enthalten waren.
Dies zog ich nun hervor und studirte es begierig,
um die Trümmer besser zu verstehen, und ihren
Werth ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich
der italienischen Reise von Goethe, welche ich
kürzlich gelesen, Römer erzählte mir viel von den
Menschen und Sitten und der Vergangenheit
Italiens. Er las fast keine Bücher, als die
deutsche Uebersetzung von Homer und einen ita¬
lienischen Ariost. Den Homer forderte er mich

3 *

nauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch
ſicher und elegant hingezogen werden; die Schlag¬
ſchatten auf dieſem weißgoldenen edlen Geſtein
waren rein blau und wenn ich den Blick fort¬
waͤhrend auf dies Blau gerichtet hatte, ſo glaubte
ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu
ſehen. Jede Luͤcke im Gebaͤlke, durch welche der
Himmel ſchaute, jede Scharte an den Kane¬
lirungen war mir heilig und ich hielt genau
ihre kleinſten Eigenthuͤmlichkeiten feſt.

Im Nachlaſſe meines Vaters fand ſich ein
Werk uͤber Architektur, in welchem die Geſchichte
und Erklaͤrung der alten Bauſtyle nebſt guten
Abbildungen mit allem Detail enthalten waren.
Dies zog ich nun hervor und ſtudirte es begierig,
um die Truͤmmer beſſer zu verſtehen, und ihren
Werth ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich
der italieniſchen Reiſe von Goethe, welche ich
kuͤrzlich geleſen, Roͤmer erzaͤhlte mir viel von den
Menſchen und Sitten und der Vergangenheit
Italiens. Er las faſt keine Buͤcher, als die
deutſche Ueberſetzung von Homer und einen ita¬
lieniſchen Arioſt. Den Homer forderte er mich

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[35/0045] nauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch ſicher und elegant hingezogen werden; die Schlag¬ ſchatten auf dieſem weißgoldenen edlen Geſtein waren rein blau und wenn ich den Blick fort¬ waͤhrend auf dies Blau gerichtet hatte, ſo glaubte ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu ſehen. Jede Luͤcke im Gebaͤlke, durch welche der Himmel ſchaute, jede Scharte an den Kane¬ lirungen war mir heilig und ich hielt genau ihre kleinſten Eigenthuͤmlichkeiten feſt. Im Nachlaſſe meines Vaters fand ſich ein Werk uͤber Architektur, in welchem die Geſchichte und Erklaͤrung der alten Bauſtyle nebſt guten Abbildungen mit allem Detail enthalten waren. Dies zog ich nun hervor und ſtudirte es begierig, um die Truͤmmer beſſer zu verſtehen, und ihren Werth ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich der italieniſchen Reiſe von Goethe, welche ich kuͤrzlich geleſen, Roͤmer erzaͤhlte mir viel von den Menſchen und Sitten und der Vergangenheit Italiens. Er las faſt keine Buͤcher, als die deutſche Ueberſetzung von Homer und einen ita¬ lieniſchen Arioſt. Den Homer forderte er mich 3 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/45>, abgerufen am 21.11.2024.