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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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Neigungen einen festen Halt zu geben und gerade
dadurch die Gesammtheit der Weiber recht zu lie¬
ben und zu ehren, daß man Einer treu ist?
Denn es ist ja doch Eine wie die Andere und in
der Einen hat man Alle!"

Ferdinand hatte sich indessen aus den Dor¬
nen losgewickelt; er sah nun aus wie ein zer¬
zauster und gerupfter Vogel. Da er sah, daß er
Heinrich nicht einschüchtern konnte, ergab er sich
und sagte ruhig, indem sie weiter gingen: "Laß
mich zufrieden, Du verstehst das nicht!"

Heinrich brauste auf und rief: "Lange genug
habe ich mir eingebildet, daß in Deiner Sinnes-
und Handlungsweise etwas liege, was ich mit
meiner Erfahrung nicht übersehen und beurtheilen
könne! Jetzt aber sehe ich nur zu deutlich, daß
es die trivialste und nüchternste Selbstsucht und
Rücksichtslosigkeit ist, welche Dich treibt, so leicht
erkennbar, als verabscheuenswerth. O wenn Du
wüßtest, wie tief Dich diese Art entstellt und be¬
fleckt und allen Denen weh thut, welche Dich ken¬
nen und achten, Du würdest aus eben dieser

Neigungen einen feſten Halt zu geben und gerade
dadurch die Geſammtheit der Weiber recht zu lie¬
ben und zu ehren, daß man Einer treu iſt?
Denn es iſt ja doch Eine wie die Andere und in
der Einen hat man Alle!«

Ferdinand hatte ſich indeſſen aus den Dor¬
nen losgewickelt; er ſah nun aus wie ein zer¬
zauſter und gerupfter Vogel. Da er ſah, daß er
Heinrich nicht einſchuͤchtern konnte, ergab er ſich
und ſagte ruhig, indem ſie weiter gingen: »Laß
mich zufrieden, Du verſtehſt das nicht!«

Heinrich brauſte auf und rief: »Lange genug
habe ich mir eingebildet, daß in Deiner Sinnes-
und Handlungsweiſe etwas liege, was ich mit
meiner Erfahrung nicht uͤberſehen und beurtheilen
koͤnne! Jetzt aber ſehe ich nur zu deutlich, daß
es die trivialſte und nuͤchternſte Selbſtſucht und
Ruͤckſichtsloſigkeit iſt, welche Dich treibt, ſo leicht
erkennbar, als verabſcheuenswerth. O wenn Du
wuͤßteſt, wie tief Dich dieſe Art entſtellt und be¬
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[346/0356] Neigungen einen feſten Halt zu geben und gerade dadurch die Geſammtheit der Weiber recht zu lie¬ ben und zu ehren, daß man Einer treu iſt? Denn es iſt ja doch Eine wie die Andere und in der Einen hat man Alle!« Ferdinand hatte ſich indeſſen aus den Dor¬ nen losgewickelt; er ſah nun aus wie ein zer¬ zauſter und gerupfter Vogel. Da er ſah, daß er Heinrich nicht einſchuͤchtern konnte, ergab er ſich und ſagte ruhig, indem ſie weiter gingen: »Laß mich zufrieden, Du verſtehſt das nicht!« Heinrich brauſte auf und rief: »Lange genug habe ich mir eingebildet, daß in Deiner Sinnes- und Handlungsweiſe etwas liege, was ich mit meiner Erfahrung nicht uͤberſehen und beurtheilen koͤnne! Jetzt aber ſehe ich nur zu deutlich, daß es die trivialſte und nuͤchternſte Selbſtſucht und Ruͤckſichtsloſigkeit iſt, welche Dich treibt, ſo leicht erkennbar, als verabſcheuenswerth. O wenn Du wuͤßteſt, wie tief Dich dieſe Art entſtellt und be¬ fleckt und allen Denen weh thut, welche Dich ken¬ nen und achten, Du wuͤrdeſt aus eben dieſer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/356>, abgerufen am 23.11.2024.