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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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wieder mit einem reizenden und ungewöhnlichen
Mädchen, in schöner Tracht, in vertrautem Zu¬
sammensein unter dem blauen Himmel dahin
fuhr wie vor Jahren, als er mit einem wirklichen
Liebchen über den Berg geritten, erklärte sich sein
Herz zufrieden und verlangte nichts Besseres.

Er faßte sich also zusammen und nahm sich
vor, ordentlich zu sein. Zwar fühlte er sich noch
mehr als gestern in Agnes verliebt, aber er fühlte
nun auch, daß er ihr herzlich gut war und nur
Gutes wünschte. Daher entschloß er sich, ihr als
treuer Freund zu dienen und Alles daran zu setzen,
daß ihr kein Unrecht geschähe.

Als sie schon das weiße Landhaus in geringer
Entfernung glänzen sahen, gerieth Agnes auf's
Neue in große Aufregung; sie wurde bald roth,
bald blaß, und da sich eine kleine ländliche Ka¬
pelle am Wege zeigte, verlangte sie auszusteigen.

Sie eilte, ihr langes Silbergewand zierlich
zusammennehmend, in die Kapelle; der Kutscher
nahm seinen Hut ab und stellte ihn neben sich
auf den Bock, um die fromme Muße auch zu
einem Vaterunser zu benutzen, und Heinrich trat

20 *

wieder mit einem reizenden und ungewoͤhnlichen
Maͤdchen, in ſchoͤner Tracht, in vertrautem Zu¬
ſammenſein unter dem blauen Himmel dahin
fuhr wie vor Jahren, als er mit einem wirklichen
Liebchen uͤber den Berg geritten, erklaͤrte ſich ſein
Herz zufrieden und verlangte nichts Beſſeres.

Er faßte ſich alſo zuſammen und nahm ſich
vor, ordentlich zu ſein. Zwar fuͤhlte er ſich noch
mehr als geſtern in Agnes verliebt, aber er fuͤhlte
nun auch, daß er ihr herzlich gut war und nur
Gutes wuͤnſchte. Daher entſchloß er ſich, ihr als
treuer Freund zu dienen und Alles daran zu ſetzen,
daß ihr kein Unrecht geſchaͤhe.

Als ſie ſchon das weiße Landhaus in geringer
Entfernung glaͤnzen ſahen, gerieth Agnes auf's
Neue in große Aufregung; ſie wurde bald roth,
bald blaß, und da ſich eine kleine laͤndliche Ka¬
pelle am Wege zeigte, verlangte ſie auszuſteigen.

Sie eilte, ihr langes Silbergewand zierlich
zuſammennehmend, in die Kapelle; der Kutſcher
nahm ſeinen Hut ab und ſtellte ihn neben ſich
auf den Bock, um die fromme Muße auch zu
einem Vaterunſer zu benutzen, und Heinrich trat

20 *
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[313/0323] wieder mit einem reizenden und ungewoͤhnlichen Maͤdchen, in ſchoͤner Tracht, in vertrautem Zu¬ ſammenſein unter dem blauen Himmel dahin fuhr wie vor Jahren, als er mit einem wirklichen Liebchen uͤber den Berg geritten, erklaͤrte ſich ſein Herz zufrieden und verlangte nichts Beſſeres. Er faßte ſich alſo zuſammen und nahm ſich vor, ordentlich zu ſein. Zwar fuͤhlte er ſich noch mehr als geſtern in Agnes verliebt, aber er fuͤhlte nun auch, daß er ihr herzlich gut war und nur Gutes wuͤnſchte. Daher entſchloß er ſich, ihr als treuer Freund zu dienen und Alles daran zu ſetzen, daß ihr kein Unrecht geſchaͤhe. Als ſie ſchon das weiße Landhaus in geringer Entfernung glaͤnzen ſahen, gerieth Agnes auf's Neue in große Aufregung; ſie wurde bald roth, bald blaß, und da ſich eine kleine laͤndliche Ka¬ pelle am Wege zeigte, verlangte ſie auszuſteigen. Sie eilte, ihr langes Silbergewand zierlich zuſammennehmend, in die Kapelle; der Kutſcher nahm ſeinen Hut ab und ſtellte ihn neben ſich auf den Bock, um die fromme Muße auch zu einem Vaterunſer zu benutzen, und Heinrich trat 20 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/323>, abgerufen am 22.11.2024.