die zartesten und beweglichsten Fühlfäden der Freude und Aufgeregtheit bloß; wenn die Lust der verschwundenen Festnacht zum größten Theil auf Verabredung und Einrichtung beruhte, so lockte dagegen die heutige ganz frei und in sich selbst gegründet, wie eine am Baume prangende Frucht zum lässigen Pflücken. Die schönen, dem phantastischen Fühlen und Genießen angemessenen Kleider waren nun wie etwas Hergebrachtes, das schon nicht mehr anders sein kann, und in ihnen begingen die Glücklichen tausend neue Scherze, Spiele und Tollheiten von der geistreichsten, wie von der allerkindlichsten Art, oft plötzlich unter¬ brochen durch den wohlklingenden, festen Männer¬ gesang.
Heinrich trieb sich überall umher und vergaß sich selber; er war überwacht und doch nicht müde, vielmehr neugierig und begierig, erst recht in den glänzenden Becher des Lebens zu schauen. Das klare Licht, das Land, die Leute, der Gesang umwirkten ihn seltsam. Als alle die Hundert auf den närrischen Einfall eines Einzelnen plötz¬
die zarteſten und beweglichſten Fuͤhlfaͤden der Freude und Aufgeregtheit bloß; wenn die Luſt der verſchwundenen Feſtnacht zum groͤßten Theil auf Verabredung und Einrichtung beruhte, ſo lockte dagegen die heutige ganz frei und in ſich ſelbſt gegruͤndet, wie eine am Baume prangende Frucht zum laͤſſigen Pfluͤcken. Die ſchoͤnen, dem phantaſtiſchen Fuͤhlen und Genießen angemeſſenen Kleider waren nun wie etwas Hergebrachtes, das ſchon nicht mehr anders ſein kann, und in ihnen begingen die Gluͤcklichen tauſend neue Scherze, Spiele und Tollheiten von der geiſtreichſten, wie von der allerkindlichſten Art, oft ploͤtzlich unter¬ brochen durch den wohlklingenden, feſten Maͤnner¬ geſang.
Heinrich trieb ſich uͤberall umher und vergaß ſich ſelber; er war uͤberwacht und doch nicht muͤde, vielmehr neugierig und begierig, erſt recht in den glaͤnzenden Becher des Lebens zu ſchauen. Das klare Licht, das Land, die Leute, der Geſang umwirkten ihn ſeltſam. Als alle die Hundert auf den naͤrriſchen Einfall eines Einzelnen ploͤtz¬
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die zarteſten und beweglichſten Fuͤhlfaͤden der
Freude und Aufgeregtheit bloß; wenn die Luſt
der verſchwundenen Feſtnacht zum groͤßten Theil
auf Verabredung und Einrichtung beruhte, ſo
lockte dagegen die heutige ganz frei und in ſich
ſelbſt gegruͤndet, wie eine am Baume prangende
Frucht zum laͤſſigen Pfluͤcken. Die ſchoͤnen, dem
phantaſtiſchen Fuͤhlen und Genießen angemeſſenen
Kleider waren nun wie etwas Hergebrachtes, das
ſchon nicht mehr anders ſein kann, und in ihnen
begingen die Gluͤcklichen tauſend neue Scherze,
Spiele und Tollheiten von der geiſtreichſten, wie
von der allerkindlichſten Art, oft ploͤtzlich unter¬
brochen durch den wohlklingenden, feſten Maͤnner¬
geſang.
Heinrich trieb ſich uͤberall umher und vergaß
ſich ſelber; er war uͤberwacht und doch nicht
muͤde, vielmehr neugierig und begierig, erſt recht
in den glaͤnzenden Becher des Lebens zu ſchauen.
Das klare Licht, das Land, die Leute, der Geſang
umwirkten ihn ſeltſam. Als alle die Hundert
auf den naͤrriſchen Einfall eines Einzelnen ploͤtz¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/314>, abgerufen am 25.11.2024.
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