Die unvermeidliche Alte führte ihn in ihr kleines Wärtergemach und ließ ihn da stehen, um das Kunstwerkchen herbeizuholen. Dieses war aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienstete, Köchin, Kammermädchen und Hausknecht rann¬ ten umher und suchten in Küche, Keller und Kammern. Endlich rief das Geräusch die schöne Wittwe selbst herbei, und als sie, die, nach dem kleinen wunderlichen Bildchen urtheilend, gewähnt hatte, einen ebenso kleinen und dürftigen Urheber zu finden, als sie nun den gewaltigen Erikson dastehen sah, der mit der Stirn beinahe die Decke des niedern Verschlages berührte, indessen sein nordisches Goldhaar glänzend auf die breiten Schultern fiel, da gerieth sie in die größte Ver¬ legenheit, zumal er, aus einem ruhigen Lächeln erwachend, sie jetzt mit festem und wohlgefälligem Blick betrachtete. Sie war aber auch des läng¬ sten Anschauens werth; kaum sechs und zwanzig Sommer alt, stand Rosalie liebreizend da, von der Rosenfarbe der Gesundheit und Lebensfrische überhaucht, von freundlichen Gesichtszügen, mit braunem Seidenhaar und noch brauneren lachen¬
Die unvermeidliche Alte fuͤhrte ihn in ihr kleines Waͤrtergemach und ließ ihn da ſtehen, um das Kunſtwerkchen herbeizuholen. Dieſes war aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienſtete, Koͤchin, Kammermaͤdchen und Hausknecht rann¬ ten umher und ſuchten in Kuͤche, Keller und Kammern. Endlich rief das Geraͤuſch die ſchoͤne Wittwe ſelbſt herbei, und als ſie, die, nach dem kleinen wunderlichen Bildchen urtheilend, gewaͤhnt hatte, einen ebenſo kleinen und duͤrftigen Urheber zu finden, als ſie nun den gewaltigen Erikſon daſtehen ſah, der mit der Stirn beinahe die Decke des niedern Verſchlages beruͤhrte, indeſſen ſein nordiſches Goldhaar glaͤnzend auf die breiten Schultern fiel, da gerieth ſie in die groͤßte Ver¬ legenheit, zumal er, aus einem ruhigen Laͤcheln erwachend, ſie jetzt mit feſtem und wohlgefaͤlligem Blick betrachtete. Sie war aber auch des laͤng¬ ſten Anſchauens werth; kaum ſechs und zwanzig Sommer alt, ſtand Roſalie liebreizend da, von der Roſenfarbe der Geſundheit und Lebensfriſche uͤberhaucht, von freundlichen Geſichtszuͤgen, mit braunem Seidenhaar und noch brauneren lachen¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0239"n="229"/><p>Die unvermeidliche Alte fuͤhrte ihn in ihr<lb/>
kleines Waͤrtergemach und ließ ihn da ſtehen, um<lb/>
das Kunſtwerkchen herbeizuholen. Dieſes war<lb/>
aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienſtete,<lb/>
Koͤchin, Kammermaͤdchen und Hausknecht rann¬<lb/>
ten umher und ſuchten in Kuͤche, Keller und<lb/>
Kammern. Endlich rief das Geraͤuſch die ſchoͤne<lb/>
Wittwe ſelbſt herbei, und als ſie, die, nach dem<lb/>
kleinen wunderlichen Bildchen urtheilend, gewaͤhnt<lb/>
hatte, einen ebenſo kleinen und duͤrftigen Urheber<lb/>
zu finden, als ſie nun den gewaltigen Erikſon<lb/>
daſtehen ſah, der mit der Stirn beinahe die Decke<lb/>
des niedern Verſchlages beruͤhrte, indeſſen ſein<lb/>
nordiſches Goldhaar glaͤnzend auf die breiten<lb/>
Schultern fiel, da gerieth ſie in die groͤßte Ver¬<lb/>
legenheit, zumal er, aus einem ruhigen Laͤcheln<lb/>
erwachend, ſie jetzt mit feſtem und wohlgefaͤlligem<lb/>
Blick betrachtete. Sie war aber auch des laͤng¬<lb/>ſten Anſchauens werth; kaum ſechs und zwanzig<lb/>
Sommer alt, ſtand Roſalie liebreizend da, von<lb/>
der Roſenfarbe der Geſundheit und Lebensfriſche<lb/>
uͤberhaucht, von freundlichen Geſichtszuͤgen, mit<lb/>
braunem Seidenhaar und noch brauneren lachen¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[229/0239]
Die unvermeidliche Alte fuͤhrte ihn in ihr
kleines Waͤrtergemach und ließ ihn da ſtehen, um
das Kunſtwerkchen herbeizuholen. Dieſes war
aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienſtete,
Koͤchin, Kammermaͤdchen und Hausknecht rann¬
ten umher und ſuchten in Kuͤche, Keller und
Kammern. Endlich rief das Geraͤuſch die ſchoͤne
Wittwe ſelbſt herbei, und als ſie, die, nach dem
kleinen wunderlichen Bildchen urtheilend, gewaͤhnt
hatte, einen ebenſo kleinen und duͤrftigen Urheber
zu finden, als ſie nun den gewaltigen Erikſon
daſtehen ſah, der mit der Stirn beinahe die Decke
des niedern Verſchlages beruͤhrte, indeſſen ſein
nordiſches Goldhaar glaͤnzend auf die breiten
Schultern fiel, da gerieth ſie in die groͤßte Ver¬
legenheit, zumal er, aus einem ruhigen Laͤcheln
erwachend, ſie jetzt mit feſtem und wohlgefaͤlligem
Blick betrachtete. Sie war aber auch des laͤng¬
ſten Anſchauens werth; kaum ſechs und zwanzig
Sommer alt, ſtand Roſalie liebreizend da, von
der Roſenfarbe der Geſundheit und Lebensfriſche
uͤberhaucht, von freundlichen Geſichtszuͤgen, mit
braunem Seidenhaar und noch brauneren lachen¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/239>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.