gegen sie, ohne für sie eine allzugroße Achtung in sich zu beherbergen, während Heinrich zurück¬ haltend, scheu und fast grob gegen sie war und doch eine herzliche Achtung für jedes weibliche Wesen hegte, das sich nur einigermaßen zu halten wußte. So seltsam vertraut und sinnlich sein Umgang mit Judith gewesen, hatte ihn doch der Instinct der Jugend und die ganze Lage der Dinge vor dem Aeußersten bewahrt, und diese Rettung, auf die er sich nun mit der Coquetterie der Zwanzigjährigen viel zu gute that, betrachtete er nun als ein zu erhaltendes Glück und als eine Erleichterung, dem reineren Andenken Annas leben zu können. Denn obgleich er nun auch bereits merkte, daß jenes jugendliche Gelübde ein Traum gewesen sei, so war er doch weit entfernt, irgend eine neue Liebe zu hoffen und nahe zu sehen, und seine Sehnsucht ging mit ihren Bildern und Träumen daher immer in die Vergangenheit zurück. Dies gab seiner Denkungsart etwas Zar¬ tes und Edles, welches er wirklich fühlte und ihn über sich selbst täuschte.
Wenn daher Ferdinand die Weiber beurtheilte,
gegen ſie, ohne fuͤr ſie eine allzugroße Achtung in ſich zu beherbergen, waͤhrend Heinrich zuruͤck¬ haltend, ſcheu und faſt grob gegen ſie war und doch eine herzliche Achtung fuͤr jedes weibliche Weſen hegte, das ſich nur einigermaßen zu halten wußte. So ſeltſam vertraut und ſinnlich ſein Umgang mit Judith geweſen, hatte ihn doch der Inſtinct der Jugend und die ganze Lage der Dinge vor dem Aeußerſten bewahrt, und dieſe Rettung, auf die er ſich nun mit der Coquetterie der Zwanzigjaͤhrigen viel zu gute that, betrachtete er nun als ein zu erhaltendes Gluͤck und als eine Erleichterung, dem reineren Andenken Annas leben zu koͤnnen. Denn obgleich er nun auch bereits merkte, daß jenes jugendliche Geluͤbde ein Traum geweſen ſei, ſo war er doch weit entfernt, irgend eine neue Liebe zu hoffen und nahe zu ſehen, und ſeine Sehnſucht ging mit ihren Bildern und Traͤumen daher immer in die Vergangenheit zuruͤck. Dies gab ſeiner Denkungsart etwas Zar¬ tes und Edles, welches er wirklich fuͤhlte und ihn uͤber ſich ſelbſt taͤuſchte.
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gegen ſie, ohne fuͤr ſie eine allzugroße Achtung
in ſich zu beherbergen, waͤhrend Heinrich zuruͤck¬
haltend, ſcheu und faſt grob gegen ſie war und
doch eine herzliche Achtung fuͤr jedes weibliche
Weſen hegte, das ſich nur einigermaßen zu halten
wußte. So ſeltſam vertraut und ſinnlich ſein
Umgang mit Judith geweſen, hatte ihn doch der
Inſtinct der Jugend und die ganze Lage der
Dinge vor dem Aeußerſten bewahrt, und dieſe
Rettung, auf die er ſich nun mit der Coquetterie
der Zwanzigjaͤhrigen viel zu gute that, betrachtete
er nun als ein zu erhaltendes Gluͤck und als eine
Erleichterung, dem reineren Andenken Annas
leben zu koͤnnen. Denn obgleich er nun auch
bereits merkte, daß jenes jugendliche Geluͤbde ein
Traum geweſen ſei, ſo war er doch weit entfernt,
irgend eine neue Liebe zu hoffen und nahe zu
ſehen, und ſeine Sehnſucht ging mit ihren Bildern
und Traͤumen daher immer in die Vergangenheit
zuruͤck. Dies gab ſeiner Denkungsart etwas Zar¬
tes und Edles, welches er wirklich fuͤhlte und
ihn uͤber ſich ſelbſt taͤuſchte.
Wenn daher Ferdinand die Weiber beurtheilte,
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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