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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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gethan schien, unablässig die Leidenschaft fahren¬
der Helden zu erregen. An ihrer ganzen Gestalt
hatte jeder Zug ein siegreiches festes Gepräge,
und die Faltenlagen ihrer einfachen Kleider waren
immer so schmuck und stattlich, daß man durch
sie hindurch in der Aufregung wohl goldene Span¬
gen oder gar schimmernde Waffenstücke zu ahnen
glaubte. Entblößte jedoch das üppige Gedicht
seine Frauen von Schmuck und Kleidung und
brachte ihre bloßgegebene Schönheit in offene Be¬
drängniß oder in eine muthwillig verführerische
Lage, während ich mich nur durch einen dünnen
Faden von der blühendsten Wirklichkeit geschieden
sah, so war es mir vollends, als wäre ich ein
thörichter Fabelheld und das Spielzeug eines aus¬
gelassenen Dichters; nicht nur das platonische
Pflicht- und Treuegefühl gegen das von christ¬
lichen Gebeten umgebene Leidensbett eines zarten
Wesens, sondern auch die Furcht, schlechtweg durch
Anna's krankhafte Träume verrathen zu werden,
legten ein Band um die verlangenden Sinne,
während Judith aus Rücksicht für Anna und mich
und aus dem Bedürfnisse sich beherrschte, in dem

gethan ſchien, unablaͤſſig die Leidenſchaft fahren¬
der Helden zu erregen. An ihrer ganzen Geſtalt
hatte jeder Zug ein ſiegreiches feſtes Gepraͤge,
und die Faltenlagen ihrer einfachen Kleider waren
immer ſo ſchmuck und ſtattlich, daß man durch
ſie hindurch in der Aufregung wohl goldene Span¬
gen oder gar ſchimmernde Waffenſtuͤcke zu ahnen
glaubte. Entbloͤßte jedoch das uͤppige Gedicht
ſeine Frauen von Schmuck und Kleidung und
brachte ihre bloßgegebene Schoͤnheit in offene Be¬
draͤngniß oder in eine muthwillig verfuͤhreriſche
Lage, waͤhrend ich mich nur durch einen duͤnnen
Faden von der bluͤhendſten Wirklichkeit geſchieden
ſah, ſo war es mir vollends, als waͤre ich ein
thoͤrichter Fabelheld und das Spielzeug eines aus¬
gelaſſenen Dichters; nicht nur das platoniſche
Pflicht- und Treuegefuͤhl gegen das von chriſt¬
lichen Gebeten umgebene Leidensbett eines zarten
Weſens, ſondern auch die Furcht, ſchlechtweg durch
Anna's krankhafte Traͤume verrathen zu werden,
legten ein Band um die verlangenden Sinne,
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[124/0134] gethan ſchien, unablaͤſſig die Leidenſchaft fahren¬ der Helden zu erregen. An ihrer ganzen Geſtalt hatte jeder Zug ein ſiegreiches feſtes Gepraͤge, und die Faltenlagen ihrer einfachen Kleider waren immer ſo ſchmuck und ſtattlich, daß man durch ſie hindurch in der Aufregung wohl goldene Span¬ gen oder gar ſchimmernde Waffenſtuͤcke zu ahnen glaubte. Entbloͤßte jedoch das uͤppige Gedicht ſeine Frauen von Schmuck und Kleidung und brachte ihre bloßgegebene Schoͤnheit in offene Be¬ draͤngniß oder in eine muthwillig verfuͤhreriſche Lage, waͤhrend ich mich nur durch einen duͤnnen Faden von der bluͤhendſten Wirklichkeit geſchieden ſah, ſo war es mir vollends, als waͤre ich ein thoͤrichter Fabelheld und das Spielzeug eines aus¬ gelaſſenen Dichters; nicht nur das platoniſche Pflicht- und Treuegefuͤhl gegen das von chriſt¬ lichen Gebeten umgebene Leidensbett eines zarten Weſens, ſondern auch die Furcht, ſchlechtweg durch Anna's krankhafte Traͤume verrathen zu werden, legten ein Band um die verlangenden Sinne, waͤhrend Judith aus Ruͤckſicht fuͤr Anna und mich und aus dem Beduͤrfniſſe ſich beherrſchte, in dem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/134>, abgerufen am 22.11.2024.