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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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still, sah mich an und sagte: "Weißt Du wohl,
Heinrich, daß Du allbereits ein Menschenleben
auf Deiner grünen Seele hast?" Diesen Gedanken
hatte ich mir noch nicht einmal klar gemacht, und
ich sagte betroffen: "Ho, so arg ist es wohl nicht!
Im schlimmsten Falle wäre es ein unglücklicher
Zufall, den ich nicht herbeizuführen je wähnen
konnte!" --"Ja," erwiderte sie sachte, "wenn Du
eine einfache, sogar grobe Forderung gestellt
hättest! Durch Deinen sauberen Höllenzwang
aber hast Du ihm förmlich den Dolch auf die
Brust gesetzt, wie es auch ganz einer Zeit ge¬
mäß ist, wo man sich mit Worten und Brieflein
todt sticht! Ach, der arme Kerl! er war so
fleißig und gab sich Mühe, aus der Patsche zu
kommen, und als er endlich ein Röllchen Geld
erwarb, nimmt man es ihm weg! Es ist so
natürlich, den Lohn der Arbeit zu seiner Er¬
nährung zu verwenden; aber da heißt es: gieb
erst zurück, wenn Du geborgt hast, und dann
verhungere!"

Wir saßen Beide eine Weile düster und nach¬
denklich da; dann sagte ich: "Das hilft nichts,

ſtill, ſah mich an und ſagte: »Weißt Du wohl,
Heinrich, daß Du allbereits ein Menſchenleben
auf Deiner gruͤnen Seele haſt?« Dieſen Gedanken
hatte ich mir noch nicht einmal klar gemacht, und
ich ſagte betroffen: »Ho, ſo arg iſt es wohl nicht!
Im ſchlimmſten Falle waͤre es ein ungluͤcklicher
Zufall, den ich nicht herbeizufuͤhren je waͤhnen
konnte!« —»Ja,« erwiderte ſie ſachte, »wenn Du
eine einfache, ſogar grobe Forderung geſtellt
haͤtteſt! Durch Deinen ſauberen Hoͤllenzwang
aber haſt Du ihm foͤrmlich den Dolch auf die
Bruſt geſetzt, wie es auch ganz einer Zeit ge¬
maͤß iſt, wo man ſich mit Worten und Brieflein
todt ſticht! Ach, der arme Kerl! er war ſo
fleißig und gab ſich Muͤhe, aus der Patſche zu
kommen, und als er endlich ein Roͤllchen Geld
erwarb, nimmt man es ihm weg! Es iſt ſo
natuͤrlich, den Lohn der Arbeit zu ſeiner Er¬
naͤhrung zu verwenden; aber da heißt es: gieb
erſt zuruͤck, wenn Du geborgt haſt, und dann
verhungere!«

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[115/0125] ſtill, ſah mich an und ſagte: »Weißt Du wohl, Heinrich, daß Du allbereits ein Menſchenleben auf Deiner gruͤnen Seele haſt?« Dieſen Gedanken hatte ich mir noch nicht einmal klar gemacht, und ich ſagte betroffen: »Ho, ſo arg iſt es wohl nicht! Im ſchlimmſten Falle waͤre es ein ungluͤcklicher Zufall, den ich nicht herbeizufuͤhren je waͤhnen konnte!« —»Ja,« erwiderte ſie ſachte, »wenn Du eine einfache, ſogar grobe Forderung geſtellt haͤtteſt! Durch Deinen ſauberen Hoͤllenzwang aber haſt Du ihm foͤrmlich den Dolch auf die Bruſt geſetzt, wie es auch ganz einer Zeit ge¬ maͤß iſt, wo man ſich mit Worten und Brieflein todt ſticht! Ach, der arme Kerl! er war ſo fleißig und gab ſich Muͤhe, aus der Patſche zu kommen, und als er endlich ein Roͤllchen Geld erwarb, nimmt man es ihm weg! Es iſt ſo natuͤrlich, den Lohn der Arbeit zu ſeiner Er¬ naͤhrung zu verwenden; aber da heißt es: gieb erſt zuruͤck, wenn Du geborgt haſt, und dann verhungere!« Wir ſaßen Beide eine Weile duͤſter und nach¬ denklich da; dann ſagte ich: »Das hilft nichts,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/125>, abgerufen am 07.05.2024.