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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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mir lange sagen, daß Erfahrung den Meister
mache und man auch diese Art Unrecht, als die
gangbarste und am leichtesten zu begehende, am
besten durch ein tüchtiges Erlebniß recht einsehen
und vermeiden lerne, mochte ich mich auch über¬
reden, daß Römer's Wesen und Schicksal mein
Verhalten hervorgerufen und auch ohne diesen
Vorgang seine Erfüllung erreicht hätte; alles
dies hinderte nicht, daß ich mir doch die bittersten
Vorwürfe machen mußte und mich schämte, so
oft Römer's Gestalt vor meinen Sinn trat. Wenn
ich auch die Welt verwünschte, welche dergleichen
Handlungen als klug und recht anerkennt (denn
die rechtlichsten Leute hatten uns zu der Wieder¬
erlangung der Summe beglückwünscht), so fiel
doch alle Schuld wieder auf mich allein zurück,
wenn ich an die Anfertigung jenes Billets dachte,
welches ich so recht con amore und ohne die
mindeste Mühe geschrieben und gleichsam aus
dem Aermel geschüttelt hatte. Ich war bald acht¬
zehn Jahre alt und entdeckte jetzt erst, wie ruhig
und unbefangen ich seit den Knabensünden und
Krisen gelebt, sechs lange Jahre! Und nun

mir lange ſagen, daß Erfahrung den Meiſter
mache und man auch dieſe Art Unrecht, als die
gangbarſte und am leichteſten zu begehende, am
beſten durch ein tuͤchtiges Erlebniß recht einſehen
und vermeiden lerne, mochte ich mich auch uͤber¬
reden, daß Roͤmer's Weſen und Schickſal mein
Verhalten hervorgerufen und auch ohne dieſen
Vorgang ſeine Erfuͤllung erreicht haͤtte; alles
dies hinderte nicht, daß ich mir doch die bitterſten
Vorwuͤrfe machen mußte und mich ſchaͤmte, ſo
oft Roͤmer's Geſtalt vor meinen Sinn trat. Wenn
ich auch die Welt verwuͤnſchte, welche dergleichen
Handlungen als klug und recht anerkennt (denn
die rechtlichſten Leute hatten uns zu der Wieder¬
erlangung der Summe begluͤckwuͤnſcht), ſo fiel
doch alle Schuld wieder auf mich allein zuruͤck,
wenn ich an die Anfertigung jenes Billets dachte,
welches ich ſo recht con amore und ohne die
mindeſte Muͤhe geſchrieben und gleichſam aus
dem Aermel geſchuͤttelt hatte. Ich war bald acht¬
zehn Jahre alt und entdeckte jetzt erſt, wie ruhig
und unbefangen ich ſeit den Knabenſuͤnden und
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[105/0115] mir lange ſagen, daß Erfahrung den Meiſter mache und man auch dieſe Art Unrecht, als die gangbarſte und am leichteſten zu begehende, am beſten durch ein tuͤchtiges Erlebniß recht einſehen und vermeiden lerne, mochte ich mich auch uͤber¬ reden, daß Roͤmer's Weſen und Schickſal mein Verhalten hervorgerufen und auch ohne dieſen Vorgang ſeine Erfuͤllung erreicht haͤtte; alles dies hinderte nicht, daß ich mir doch die bitterſten Vorwuͤrfe machen mußte und mich ſchaͤmte, ſo oft Roͤmer's Geſtalt vor meinen Sinn trat. Wenn ich auch die Welt verwuͤnſchte, welche dergleichen Handlungen als klug und recht anerkennt (denn die rechtlichſten Leute hatten uns zu der Wieder¬ erlangung der Summe begluͤckwuͤnſcht), ſo fiel doch alle Schuld wieder auf mich allein zuruͤck, wenn ich an die Anfertigung jenes Billets dachte, welches ich ſo recht con amore und ohne die mindeſte Muͤhe geſchrieben und gleichſam aus dem Aermel geſchuͤttelt hatte. Ich war bald acht¬ zehn Jahre alt und entdeckte jetzt erſt, wie ruhig und unbefangen ich ſeit den Knabenſuͤnden und Kriſen gelebt, ſechs lange Jahre! Und nun

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/115>, abgerufen am 25.11.2024.