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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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net; vielmehr verzieh man ihm nicht, wenn er
einmal verrückt sei, daß er doch mit so viel
schlauem Anstand und wahrer Menschenkenntniß
seine wohlhabenden Bekannten wiederholt habe
anführen können. Er fühlte dies recht gut mit
seiner vernünftigeren Hälfte, welche durch die
Noth immer zur Noth wach gehalten wurde; denn
während, unserer seltsamen Gespräche über die Er¬
fahrungen sagte er mir einst: "Wenn Sie einst
in Verlegenheit gerathen und Geld leihen müssen,
so thun Sie dies ja nicht auf eine anständige
und geschickte Weise, wie es ernsten Leuten ge¬
ziemt, wenn Sie nicht ganz sicher sind, es auf
den bestimmten Tag zurückzugeben, sonst wird
man Sie für einen abgefeimten Betrüger halten!
vielmehr thun Sie es ohne alle Scham und auf
liederliche, närrische Weise, damit die Leute sagen
können: Es ist ein Lump, aber ein guter Teufel,
man muß ihm helfen!"

Ueberhaupt erschien er sonst in allen Dingen
als ein gewandter und verständiger Mann und
wußte seinen Irrsinn lange zu verbergen. Auch
hatte er nach Art der Irren doch immer ein

net; vielmehr verzieh man ihm nicht, wenn er
einmal verruͤckt ſei, daß er doch mit ſo viel
ſchlauem Anſtand und wahrer Menſchenkenntniß
ſeine wohlhabenden Bekannten wiederholt habe
anfuͤhren koͤnnen. Er fuͤhlte dies recht gut mit
ſeiner vernuͤnftigeren Haͤlfte, welche durch die
Noth immer zur Noth wach gehalten wurde; denn
waͤhrend, unſerer ſeltſamen Geſpraͤche uͤber die Er¬
fahrungen ſagte er mir einſt: »Wenn Sie einſt
in Verlegenheit gerathen und Geld leihen muͤſſen,
ſo thun Sie dies ja nicht auf eine anſtaͤndige
und geſchickte Weiſe, wie es ernſten Leuten ge¬
ziemt, wenn Sie nicht ganz ſicher ſind, es auf
den beſtimmten Tag zuruͤckzugeben, ſonſt wird
man Sie fuͤr einen abgefeimten Betruͤger halten!
vielmehr thun Sie es ohne alle Scham und auf
liederliche, naͤrriſche Weiſe, damit die Leute ſagen
koͤnnen: Es iſt ein Lump, aber ein guter Teufel,
man muß ihm helfen!«

Ueberhaupt erſchien er ſonſt in allen Dingen
als ein gewandter und verſtaͤndiger Mann und
wußte ſeinen Irrſinn lange zu verbergen. Auch
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[95/0105] net; vielmehr verzieh man ihm nicht, wenn er einmal verruͤckt ſei, daß er doch mit ſo viel ſchlauem Anſtand und wahrer Menſchenkenntniß ſeine wohlhabenden Bekannten wiederholt habe anfuͤhren koͤnnen. Er fuͤhlte dies recht gut mit ſeiner vernuͤnftigeren Haͤlfte, welche durch die Noth immer zur Noth wach gehalten wurde; denn waͤhrend, unſerer ſeltſamen Geſpraͤche uͤber die Er¬ fahrungen ſagte er mir einſt: »Wenn Sie einſt in Verlegenheit gerathen und Geld leihen muͤſſen, ſo thun Sie dies ja nicht auf eine anſtaͤndige und geſchickte Weiſe, wie es ernſten Leuten ge¬ ziemt, wenn Sie nicht ganz ſicher ſind, es auf den beſtimmten Tag zuruͤckzugeben, ſonſt wird man Sie fuͤr einen abgefeimten Betruͤger halten! vielmehr thun Sie es ohne alle Scham und auf liederliche, naͤrriſche Weiſe, damit die Leute ſagen koͤnnen: Es iſt ein Lump, aber ein guter Teufel, man muß ihm helfen!« Ueberhaupt erſchien er ſonſt in allen Dingen als ein gewandter und verſtaͤndiger Mann und wußte ſeinen Irrſinn lange zu verbergen. Auch hatte er nach Art der Irren doch immer ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/105>, abgerufen am 22.11.2024.