Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen machte sich eine gegenseitige Neckerei
mit Herzensangelegenheiten unter den Geschwi¬
stern geltend, das ganze süße Geplauder jenes
hoffnungsreichen Alters befreite sich aus den
offenen Gemüthern und umspann Alle mit gern
gehörten Anspielungen, verstelltem Widerstande
und schelmischer Rückantwort. Nur Anna schien
vor den Angriffen sicher zu sein, während sie hie
und da einen schüchternen Scherz hinwarf, und
ich sagte gar nichts dazu, weil mein Herz voll
war von den Begebnissen des Tages. Wir stan¬
den nun auf der Höhe, welche von der Gluth
der untergehenden Sonne übergossen war, vor
mir schwebte die federleichte, verklärte Gestalt des
jungen Mädchen und neben ihr glaubte ich den
lieben Gott lächeln zu sehen, den Freund und
Schutzpatron der Landschaftsmaler, als welchen
ich ihn heute in dem Gespräche mit dem Schul¬
meister entdeckt hatte; das scheidende Mädchen
erröthete noch stärker in die Abendröthe hinein,
als sie zuletzt auch mir die Hand bot. Wir be¬
rührten uns kaum mit den Fingerspitzen und
nannten uns höflich Sie; aber die Vettern lach¬

zwiſchen machte ſich eine gegenſeitige Neckerei
mit Herzensangelegenheiten unter den Geſchwi¬
ſtern geltend, das ganze ſuͤße Geplauder jenes
hoffnungsreichen Alters befreite ſich aus den
offenen Gemuͤthern und umſpann Alle mit gern
gehoͤrten Anſpielungen, verſtelltem Widerſtande
und ſchelmiſcher Ruͤckantwort. Nur Anna ſchien
vor den Angriffen ſicher zu ſein, waͤhrend ſie hie
und da einen ſchuͤchternen Scherz hinwarf, und
ich ſagte gar nichts dazu, weil mein Herz voll
war von den Begebniſſen des Tages. Wir ſtan¬
den nun auf der Hoͤhe, welche von der Gluth
der untergehenden Sonne uͤbergoſſen war, vor
mir ſchwebte die federleichte, verklaͤrte Geſtalt des
jungen Maͤdchen und neben ihr glaubte ich den
lieben Gott laͤcheln zu ſehen, den Freund und
Schutzpatron der Landſchaftsmaler, als welchen
ich ihn heute in dem Geſpraͤche mit dem Schul¬
meiſter entdeckt hatte; das ſcheidende Maͤdchen
erroͤthete noch ſtaͤrker in die Abendroͤthe hinein,
als ſie zuletzt auch mir die Hand bot. Wir be¬
ruͤhrten uns kaum mit den Fingerſpitzen und
nannten uns hoͤflich Sie; aber die Vettern lach¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="77"/>
zwi&#x017F;chen machte &#x017F;ich eine gegen&#x017F;eitige Neckerei<lb/>
mit Herzensangelegenheiten unter den Ge&#x017F;chwi¬<lb/>
&#x017F;tern geltend, das ganze &#x017F;u&#x0364;ße Geplauder jenes<lb/>
hoffnungsreichen Alters befreite &#x017F;ich aus den<lb/>
offenen Gemu&#x0364;thern und um&#x017F;pann Alle mit gern<lb/>
geho&#x0364;rten An&#x017F;pielungen, ver&#x017F;telltem Wider&#x017F;tande<lb/>
und &#x017F;chelmi&#x017F;cher Ru&#x0364;ckantwort. Nur Anna &#x017F;chien<lb/>
vor den Angriffen &#x017F;icher zu &#x017F;ein, wa&#x0364;hrend &#x017F;ie hie<lb/>
und da einen &#x017F;chu&#x0364;chternen Scherz hinwarf, und<lb/>
ich &#x017F;agte gar nichts dazu, weil mein Herz voll<lb/>
war von den Begebni&#x017F;&#x017F;en des Tages. Wir &#x017F;tan¬<lb/>
den nun auf der Ho&#x0364;he, welche von der Gluth<lb/>
der untergehenden Sonne u&#x0364;bergo&#x017F;&#x017F;en war, vor<lb/>
mir &#x017F;chwebte die federleichte, verkla&#x0364;rte Ge&#x017F;talt des<lb/>
jungen Ma&#x0364;dchen und neben ihr glaubte ich den<lb/>
lieben Gott la&#x0364;cheln zu &#x017F;ehen, den Freund und<lb/>
Schutzpatron der Land&#x017F;chaftsmaler, als welchen<lb/>
ich ihn heute in dem Ge&#x017F;pra&#x0364;che mit dem Schul¬<lb/>
mei&#x017F;ter entdeckt hatte; das &#x017F;cheidende Ma&#x0364;dchen<lb/>
erro&#x0364;thete noch &#x017F;ta&#x0364;rker in die Abendro&#x0364;the hinein,<lb/>
als &#x017F;ie zuletzt auch mir die Hand bot. Wir be¬<lb/>
ru&#x0364;hrten uns kaum mit den Finger&#x017F;pitzen und<lb/>
nannten uns ho&#x0364;flich Sie; aber die Vettern lach¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0087] zwiſchen machte ſich eine gegenſeitige Neckerei mit Herzensangelegenheiten unter den Geſchwi¬ ſtern geltend, das ganze ſuͤße Geplauder jenes hoffnungsreichen Alters befreite ſich aus den offenen Gemuͤthern und umſpann Alle mit gern gehoͤrten Anſpielungen, verſtelltem Widerſtande und ſchelmiſcher Ruͤckantwort. Nur Anna ſchien vor den Angriffen ſicher zu ſein, waͤhrend ſie hie und da einen ſchuͤchternen Scherz hinwarf, und ich ſagte gar nichts dazu, weil mein Herz voll war von den Begebniſſen des Tages. Wir ſtan¬ den nun auf der Hoͤhe, welche von der Gluth der untergehenden Sonne uͤbergoſſen war, vor mir ſchwebte die federleichte, verklaͤrte Geſtalt des jungen Maͤdchen und neben ihr glaubte ich den lieben Gott laͤcheln zu ſehen, den Freund und Schutzpatron der Landſchaftsmaler, als welchen ich ihn heute in dem Geſpraͤche mit dem Schul¬ meiſter entdeckt hatte; das ſcheidende Maͤdchen erroͤthete noch ſtaͤrker in die Abendroͤthe hinein, als ſie zuletzt auch mir die Hand bot. Wir be¬ ruͤhrten uns kaum mit den Fingerſpitzen und nannten uns hoͤflich Sie; aber die Vettern lach¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/87
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/87>, abgerufen am 21.11.2024.